Herr Brunner, was macht die Immobilienbewertung von Hotels so anspruchsvoll?

Bei einer Hotelimmobilie gelten etwas andere Regeln. Hier reicht die richtige Methodik alleine nicht aus. Ein Schätzer muss die Branche und deren Eigenheiten kennen, um die schätzungsrelevanten Faktoren eines Hotelbetriebs richtig einordnen zu können.

Wo liegen sie denn, die Stolpersteine?

Wenn man als Schätzer das nötige Know-how und ausreichend Erfahrung mitbringt, sollte man eigentlich nicht stolpern. Es gilt zu beachten, dass bei der Schätzung eines gastgewerblichen Betriebs wie einer Hotelliegenschaft der Betriebsertrag die Basis für die Bewertung darstellt. Und dass der erzielbare Mietertrag direkt abhängig ist vom Betriebskonzept.

Das bedeutet konkret?

Jede Hotelimmobilie ist individuell. Ein identisches Objekt gibt es nicht. Zur Ermittlung des Mietwertes können also nur bedingt Vergleichszahlen ähnlicher Objekte ­hinzugezogen werden. So sind auch selten ortsübliche Quadratmeterpreise gegeben.

Welche Methodik empfehlen Sie in diesem Falle?

Hotelliegenschaften sind ­nutzbare Immobilien mit Mieterträgen. Der Marktwert wird hier grundsätzlich mit Ertragsmethoden geschätzt. Bei kleineren Gastgewerbebetrieben wird zur Ermittlung des Marktwertes vielfach die konventionelle Ertragswertmethode eingesetzt. Bei grösseren Hotelimmobilien wird als Ertragsmethode fast ausschliesslich die DCF-Methode verwendet.

Das bedeutet, der Schätzer braucht bei grösseren Betrieben transparente Einsicht in die Bücher?

Genau. Es ist zwingend notwendig, dass der Schätzer bei solch einer Bewertung eine sorgfältige Betriebsanalyse des Unternehmens vornimmt. Nur so kann er schlussendlich einen richtigen Mietwert und daraus den korrekten Marktwert berechnen.

Was beinhaltet eine solche Analyse im Detail?

Die Betriebsanalyse muss dem Schätzer Antworten auf folgende Fragen liefern: Welche Geschäftsidee wird verwirklicht? Ist diese für die Immobilie richtig? Könnte mit einem anderen Konzept mehr Ertrag erwirtschaftet werden? Welche Leistungen werden angeboten? Wie grenzt sich der Betrieb gegenüber der Konkurrenz ab? Welche Marketinginstrumente werden eingesetzt? Wer sind die Führungskräfte, über welches Know-how und welche Erfahrungen verfügen sie? Welche Risiken gefährden den Fortbestand des Betriebs und wie kann darauf reagiert werden? Wie hoch belaufen sich die Investitionen, um den Betrieb nachhaltig fortführen zu können?

Klare Fakten, die zählen. Gibt es auch weiche Faktoren?

In erster Linie sind es Zahlen. Sie alle resultieren am Schluss in einem erzielbaren Jahresumsatz – die Grundlage zur Bestimmung des Mietwertes und somit zur Bewertung einer Hotelimmobilie. Natürlich wird der Umsatz nicht alleine durch die Immobilie selbst erzielt, die Mitarbeitenden sowie die Geschäftsleitung tragen einen grossen Teil zum Geschäftserfolg bei. Das wird dann sichtbar, wenn man zwei iden­tische Hotels (Lage, Gebäude) miteinander vergleicht. An­genommen, das erste Hotel wird von motivierten Mitarbeitenden und einer starken Geschäftsführung betrieben, während das zweite nur mit mittelmässigem Personal mit einer mangelhaften Geschäftsleitung besetzt ist. Der erste Betrieb wird einen höheren Mietertrag erwirtschaften als der zweite Betrieb, der seinen Job schlechter macht.

Das bedeutet für den Schätzer?

Dass er sich nicht irreführen lässt und objektiv bleibt. Also die Immobilie bewertet und nicht die Geschäftsführung. Das heisst: Der Mietwert muss so festlegt werden, dass dieser bei durchschnittlicher Leistung des Personals und der Geschäftsführung für den Betrieb tragbar ist.

Hand aufs Herz: Wie oft werden Hotels unrealistisch, also «zu hoch» bewertet?

Im Berner Oberland, das Marktgebiet, das ich am besten kenne, wurden in letzter Zeit viele Hotels von Ausländern gekauft. Die Motivation solcher Käufer ist zum einen die Lage in der stabilen Schweiz, zum anderen der Ruf und das Ansehen des Hotels. Dabei werden oft Liebhaberpreise bezahlt. Tatsache jedoch ist: Hotels haben hohe laufende Kosten und die Investitionen sind sehr kapitalintensiv. Viele Betriebe sind nicht in der Lage, diese Kosten zu decken. Hier ist nun Professionalität gefragt. Ein Bewerter ohne genügend gastgewerbliche Kenntnisse lässt sich schnell vom Renommee und von der Grösse eines Hotels blenden und schätzt den Marktwert darum zu hoch.

Wie wichtig ist Ihnen das Bauchgefühl bei einer Bewertung?

Bevor ich nicht alle schätzungsrelevanten Faktoren zusammengetragen und analysiert habe, habe ich eigentlich kein Bauchgefühl. Erst wenn das Resultat der Bewertung feststeht, kann es vorkommen, dass ich vom Gefühl her mit dem Ergebnis nicht zufrieden bin. Dann gilt es, die Schätzung zu überprüfen und den Grund für das Unbehagen zu finden.

Was gehört zu einer professionellen Standortprüfung?

Die Besichtigung der Hotelimmobilie vor Ort sollte möglichst umfassend sein, um alle schätzungsrelevanten Faktoren zu erfassen. Im Weiteren müssen dem Schätzer Ort, Region, Umgebung, Infrastruktur, Er­reichbarkeit sowie Konkurrenzbetriebe usw. bekannt sein oder bei der Besichtigung vor Ort abgeklärt werden.

Luxus-Resort, Alphütte oder B & B:
Hat die Kategorie einen Einfluss auf die Bewertung?

Die Bewertungskriterien und -methoden sind die gleichen, wobei der Zeitaufwand für die Schätzung und die Grösse und Komplexität der zu schätzenden Immobilie in einem vernünftigen Verhältnis stehen muss. Es macht wenig Sinn, zur Bewertung einer Alp­hütte eine zeitaufwändige DCF-Berechnung zu erstellen.

Sie sind Dozent bei Sirea. Welche goldene Schätzer-Faustregel geben Sie Ihren Studierenden für eine Hotel­immobilie mit auf den Weg?

Faustregeln werden meinen Studierenden in diesem Falle nicht viel helfen. Wie gesagt: Es gibt keine einfachen Regeln für die Schätzung von gastgewerblichen Betrieben. Viel mehr übermittle ich in meinen Ausbildungslehrgängen an den Fachhochschulen Lernziele für diese spezielle Disziplin. Diese lauten: Lerne die Besonderheiten des Gastgewerbes und ihren Einfluss auf die Liegenschaftsschätzung kennen. Erlange die Fähigkeiten, eine durch eine Drittperson erstellte Schätzung richtig beurteilen zu können. Sammle Berufserfahrung in der Liegenschaftsschätzung einfacher und kleinerer Gastwirtschaftsbetriebe. Erkenne, wann ein auf das Gastgewerbe spezialisierter Immobi­lienschätzer beigezogen werden muss.

Beat Brunner

Inhaber Brunner Consulting für Liegenschaftsschätzungen und Beratungen im Gastgewerbe, Immobilienschätzer Kanton Bern, Dozent bei Sirea, Präsident Prüfungskommission Sirea.