Ein PropTech-Unternehmen mit KI-Anwendungen und ein altbewährtes Bewertungsunternehmen – wie unterscheiden sich Pricehubble und IAZI?

Christian Crain: Wenn man uns einander gegenüberstellt, vergleicht man ein Stück weit Äpfel mit Birnen. Wir von Price­hubble bieten Immobilien- und Finanzprofis digitale Produktlösungen, die auf einem Immobilieninformationssystem mit fortschrittlichem Automated Valuation Model (AVM) aufbauen. Ziel ist es, dass man eine Wohnimmobilie vom Schreibtisch aus so gut verstehen kann, als wäre man vor Ort. IAZI dagegen sehe ich als klassischen Bewerter.

Nicola Stalder: Dies sehe ich anders. IAZI hat vor dreissig Jahren mit der Hedonik das erste «Machine-Learning»-basierte ­Verfahren für die Immobilienbewertung in der Schweiz geschaffen. Das, was Herr Crain als automatisierte Bewertung bezeichnet, ist bei IAZI seit Längerem Realität. Daneben arbeiten wir natürlich auch mit Methoden wie DCF oder Ertragswert und verfügen über ein Expertenteam, das Objekte vor Ort besichtigt und bewertet. Die Möglichkeiten zur datenbasierten Bewertung baut IAZI laufend aus, etwa durch die Integration in die Swiss Market Place Group, zu der Plattformen wie Homegate und ImmoScout24 gehören.

Herr Stalder hat es angesprochen: Hedonische Modelle zählen auch zu den AVM und sind damit eine Form von KI. Was ist denn bei Ihren ­KI-Modellen anders?

Christian Crain: Im Gegensatz zu hedonischen Modellen beziehen wir nicht nur Parameter von Vergleichsobjekten wie die Wohnfläche, das Baujahr oder die Zahl der Nasszellen mit ein, sondern auch rund 150 Mikro- und Makrolage­faktoren – etwa soziodemografische Indikatoren, künftige Bauvorhaben, Aussicht oder Beschattung. Diese Faktoren stellen wir nicht nur als Zahlen, sondern auch grafisch dar. Dadurch erhalten Immobilienprofis entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Wohnimmobilien alle relevanten Informationen auf einen Blick.

Nicola Stalder: Hedonisch bedeutet im Bewertungskontext nichts anderes, als dass ein komplexes Gut wie Immobilien in einzelne Faktoren aufgeteilt wird, um deren Einfluss zu kontrollieren. Dabei werden auch bei klassischen hedonischen Modellen teils Hunderte Parameter berücksichtigt. Ein klarer Unterschied zwischen den KI-gestützten Tools und hedonischen Modellen ist die Kunden­gruppe. Banken beispielsweise arbeiten mit hedonischen Modellen, weil sie sicher sein wollen, dass ihr Kredit durch den ­Liegenschaftenwert gesichert ist – sie schätzen die Verlässlichkeit der Resultate und die risikorelevanten Informationen zur Schätzunsicherheit.

Gibt es denn bezüglich Zuverlässigkeit Unterschiede zwischen den hedonischen und Bewertungsmodellen der jüngsten Generation?

Nicola Stalder: Nicht unbedingt. Die hedonischen Modelle kommen zur Anwendung, weil sie sich seit Jahrzehnten bewähren, durch Risikomanager geprüft werden und die hohen Ansprüche der Regulatoren erfüllen. Neue Modelle liessen sich grundsätzlich auch verwenden, doch muss man die Resultate nachvollziehen können. Zudem muss sichergestellt sein, dass es etwa keine raschen, kaum zu erklärenden Ausschläge bei den Bewertungen gibt.

Herr Crain, Kritiker sprechen bei ­KI-basierten Modellen gerne von einer Blackbox. Ist das wirklich so?

Christian Crain: Bei klassischen Bewertungsmodellen, die mit Hypothesen arbeiten, kann man die verwendeten mathematischen und statistischen Modelle nachvollziehen. Das ist ein Vorteil. Der Nachteil dabei ist, dass man von der ­Qualität und der Quantität der Thesen abhängig ist. KI-gestützte Modelle hingegen arbeiten mit Mustern und Beziehungen zwischen einer grossen Zahl an Daten. Was dabei im Hintergrund abläuft, können die Nutzer schwerer nachvollziehen. Das ist in der Tat ein Stück weit eine Blackbox. Daher muss der Anbieter unbedingt Vertrauen schaffen.

Und wie machen Sie das?

Christian Crain: Wir zeigen beispielsweise auf, in welcher Bandbreite der reale Preis vom errechneten abweichen kann. Ebenso demonstrieren wir die Sensitivität des Modells. Wenn sie gut ist, reagiert die Bewertung bereits auf kleinste Veränderungen von Parametern. Unterdessen arbeiten 25 000 Anwender mit unserem Tool – ich denke, das zeigt, dass man auch mit einem KI-basierten Modell Vertrauen schaffen kann. Und was man nicht vergessen darf: Die Tools können sich auch positiv auf die Qualität der Daten auswirken. Sie können bei Inseraten beispielsweise Bild, Text und Preis auf Kongruenz prüfen. So findet man fehlerhafte Datensätze und die Genauigkeit des Bewertungsmodells steigt.

Die Möglichkeiten der KI-Bewertungstools haben in der Branche Unruhe ausgelöst. Wird der kleine Bewerter mittelfristig arbeitslos?

Nicola Stalder: Das würde ich klar verneinen. KI bringt natürlich Veränderungen für die Branche, aber die Chancen überwiegen. Die Tools eignen sich ja in erster Linie für Standardwohnobjekte. Bei der Bewertung anderer Liegenschaften – wie etwa Geschäftshäuser – braucht es die Expertise erfahrener Bewerter auch künftig. Verändern wird sich durch KI aber die Arbeitsweise. So können Bewerter Informationen mit KI-Tools rasch sammeln und aufbereiten. Aufwendige manuelle Prozesse werden vereinfacht und bei richtiger Anwendung können Tools wie ChatGPT sogar die Qualität unserer Arbeit erhöhen.

Christian Crain: Bewerter haben einen hohen Margendruck. Wenn sie nun dank KI schneller und einfacher an Informationen kommen, steigt die Effizienz. Nicola Stalder hat es angesprochen: Beim Bewerten wird es künftig eine stärkere Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine geben. Das lässt Bewertern mehr Raum, um persönliche Stärken auszuspielen – etwa bei der Beratung oder beim Moderieren von Prozessen.

Werfen wir noch einen Blick nach vorn. Wo geht die Reise mit ­KI-gestützten Bewertungstools hin?

Nicola Stalder: Ich gehe davon aus, dass KI-Tools künftig in vielen Bereichen alltäglich sein werden. Bezüglich Bewertung sehe ich neue Instrumente, die bei der Beschaffung von Daten helfen und insbesondere die Auswertung von unstrukturierten Daten wie Fotos, Plänen oder Texten nochmals effizienter machen. Vorstellen kann ich mir auch, dass KI-gestützte Bots einen künftig bei der Eingabe von Bewertungsdaten unterstützen. Und nicht zuletzt hilft KI uns bei IAZI dabei, unser Ziel zu erreichen: Wir erstellen für alle drei Millionen Gebäude in der Schweiz einen möglichst kompletten digitalen Zwilling. Bereits jetzt können wir für ein beliebiges Gebäude auf Knopfdruck den aktuellen Marktwert ermitteln.

Christian Crain: Ich sehe es sehr ähnlich wie Nicola Stalder. Übrigens hatten wir die Chatbot-Idee schon mal probeweise als Spielerei umgesetzt. Die Nutzer konnten der Alexa-Box von Amazon die Frage stellen: «Was ist mein Haus wert?» und erhielten sofort eine – noch nicht sehr genaue – Antwort. Mit digitalen Zwillingen für Gebäude ergäben sich da neue Möglichkeiten. Ich gehe ausserdem davon aus, dass KI-gestützte Bewertungen in der EU für Hypothekargesuche zugelassen werden. Damit hätten wir in Deutschland dann eine ähnlich schlanke Lösung, wie sie die Schweiz mit den hedonischen Modellen schon lange kennt.

Zur Person

Christian Crain, 46, ist Regionaldirektor DACH & CEE von Pricehubble mit Sitz in Berlin. Davor war er COO im Bereich Operational Excellence bei der Moneypark AG in Zürich. Crain ist Betriebswirt mit Schwerpunkt Wohnungs­wirtschaft und Realkredit.

Zur Person

Nicola Stalder, 31, leitet bei der IAZI AG in Zürich den Bereich Analytics und ist Mitglied der Geschäftsleitung. Er hat einen MSc BA mit Schwerpunkt Corporate Finance und war vor seinem Wechsel zu IAZI in der ­Wirtschaftsprüfung tätig.

Zu den Unternehmen

Pricehubble wurde 2016 in der Schweiz gegründet und beschäftigt unterdessen an zehn europäischen Standorten rund 200 Mitarbeitende. Das Unternehmen entwickelt im B2B-­Bereich für die Finanz- und Immobilienwirtschaft digitale Lösungen zur Bewertung von Immobilien und Bereitstellung von Marktdaten.

Die IAZI AG unterstützt seit 30 Jahren nationale und internationale Kunden aus der ­Immobilienwirtschaft mit ­Produkten sowie Dienstleistungen im Bereich der datenbasierten Immobilienbewertung. Das Unternehmen hat 130 Mitarbeitende an seinen Stand­orten in Zürich, Lausanne sowie Goa und Kerala in ­Indien.