«Es ist ein unglaubliches Glück, ein Maien­säss zu besitzen. Bei uns ging es von meinem Vater an mich über. Er wollte seine Maiensässliegenschaften unter seinen drei Kindern vor seinem Ableben gerecht verteilen.
Die Idylle, die hier oben herrscht, ist traumhaft. Unser Häuschen klebt am Hang und wir sind von Wald umgeben. Gegenüber sehen wir den Piz Mundaun, und begibt man sich in die entgegengesetzte Richtung, geht es zum Panixer Stausee. Dazu verfügt das Grundstück über ein beträchtliches Stück Wald- und Landwirtschaftsfläche. Die nutzbare ­Fläche haben wir an einen Bio-Bauern verpachtet.
Der Charakter dieser Landschaft ist einzigartig. Man muss aber auf Luxus verzichten können. Denn Maiensässe sind in der Regel spartanisch eingerichtet. Auch unseres. Wir haben kein warmes Wasser und produzieren Strom mit einer Solarzelle. Unser Luxus: Wir haben eine eigene Quelle und unendlich viel Ruhe. Wir können das Hüttli zudem mit dem Holzofen einheizen. Und wir kochen mit Gas aus der Flasche. Was braucht man mehr?

Entschleunigende Wirkung

Unser Häuschen ist kein historisches. Als mein Vater das Grundstück bebaute, transferierte er mithilfe eines Rapids ein nicht mehr gebrauchtes Bahnwärterhäuschen auf das Grundstück. Damals passte gerade mal ein Bett hinein. Mit der Zeit, als die Vorschriften noch nicht so einschränkend waren, hat er das Hüttli etwas komfortabler ausgebaut.

«Das Maiensäss herzugeben wäre, als müsste ich einen Teil meiner Familie verkaufen.»

Der Name Maiensäss stammt übrigens aus der Zeit, als die Bauern in der Schweiz eine dreistufige Landwirtschaft betrieben. Im Winter war die Familie mit den Tieren im Tal, im Frühjahr und Herbst zogen alle mit Sack und Pack ins Maiensäss, das sich unter der Waldgrenze befindet. Im Sommer wurden die Tiere dann zum Senn auf die Alp gebracht. Man folgte der Nahrung für die Tiere.

Bei einem solchen Grundstück muss man immer wieder Dinge ausbessern und bewirtschaften. Manchmal gibt es Rückschläge. So hatten wir eine Zeit lang einen Hausschwamm im Hüttli. Wir mussten neben ganzen Wand- und Bodenelementen sogar die Matratzen in die Verbrennung bringen, um die Sporen loszuwerden. Und wir müssen jeweils im Herbst die Leitungen entleeren und das Wasser abstellen. Sonst frieren sie im schlimmsten Fall ein und platzen.

Grosse Nachfrage, kleines Angebot

Trotz der vielen Arbeit, die es mit sich bringt, ist die Nachfrage nach solchen Objekten gross und das Angebot knapp. Manchmal werden beträchtliche Preise geboten – Liebhaberpreise halt. Die geografische Lage spielt dabei, wie bei allen übrigen Wohnliegenschaften, eine zentrale Rolle. Liegt das Maiensäss in einem Taleinschnitt mit viel Schatten? Wie ist die Aussicht? Wie steht es um die Zugänglichkeit und Lärmbelastung? Solche ­Fragen eben. So kann ich nicht einfach sagen, ein Maiensäss kostet 50 000 oder 200 000 Franken. Wer sich in ein solches Objekt verliebt und das notwendige Kleingeld besitzt, zahlt fast alles dafür.

«Es werden beträchtliche Preise für solche Grundstücke geboten.»

Der Marktwert ist in vielen Fällen trotzdem relevant, besonders dann, wenn es um eine Erbteilung geht. Für eine Bewertung braucht man Erfahrung und muss über taugliche Vergleichswerte verfügen. Für Bewerter, die nicht viel mit der Thematik zu tun haben, sind solche Objekte kaum zu bewerten.

Mein Maiensäss könnte ich niemals hergeben. Das wäre, als müsste ich einen Teil meiner Familie verkaufen. Der Wald war mein Kinderspielplatz und ist es heute für meine Kinder, Nichten und Neffen. Wir sammeln zusammen Pilze, bauen Waldunterkünfte aus Ästen, Gras und Moos, stauen das kleine Bächlein, das unser Grundstück durchquert, oder beobachten Vögel, Hasen und Hirsche. All das sind für uns die kleinen und grossen Abenteuer. Ich hacke Holz für den Ofen oder mähe die steilen Böschungen des Grundstücks. Wenn ich im Maiensäss bin, stelle ich mein Telefon ab und geniesse den Luxus der Ruhe.»

Nach seiner Lehre als Tiefbauzeichner absolvierte Arno ­Curschellas ein Bauingenieurstudium in Rapperswil. Danach folgten ein Nach­diplom­­studium in Betriebswirtschaft und das Studium zum MAS in Real Estate Management. Beruflich war er als Ingenieur und Bauleiter tätig, bevor er zum Amt für Schätzungswesen des Kantons Graubünden wechselte. Nach zwölf Jahren bei der Credit Suisse kam er 2019 als Partner zur Fahrländer Partner Raumentwicklung AG. Arno Curschellas ist Dozent für Immobilienbewertung und Spezialobjekte bei der Fachhochschule OST und SIREA.