Wenn Mieter aufgrund von tiefen Mietzinsen längerfristig wohnen bleiben und Mietrecht sowie Gerichte eine Anpassung der Zinsen an den Markt ohne Begründung oder Mehrwert erschweren, stellt sich die Frage, wie ein Bewerter dem Wert der Liegenschaft und den effektiv zu erwirtschaftenden Mieten in der Bewertung gerecht werden kann.
Das Mietrecht äussert sich in den Artikeln 253 ff. OR klar und schützt tendenziell den Mieter als schwächere Vertragspartei. Diesen Tatsachen muss in einer Bewertung Rechnung getragen werden. Das Mietrecht darf nicht aus den Angeln gehoben werden; die Anwendung einer linearen Anpassung des Mietertrags über eine kurze Zeitspanne ist genau zu prüfen.
Die Erfüllung der Kriterien der Orts- und Quartiersüblichkeit sind in der Verordnung über die Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen (VMWG) verankert. Das Bundesgericht beschäftigte sich bereits eingehend mit der Anzahl und Qualität, welche die Vergleichsobjekte aufweisen müssen. Der Eigentümer muss derzeit mindestens fünf Objekte im gleichen Ort oder Stadtquartier (nach Lage, Grösse, Zustand, Ausstattung und Bauperiode) vorlegen, die mit dem Mietobjekt vergleichbar sind. Die Referenzwohnungen dürfen sich jedoch nicht im selben Portfolio befinden wie das Objekt, in dem die Mieterhöhung erfolgt. Der Eigentümer kann sich dabei nicht auf Statistiken stützen, sondern muss die vorgeschriebene Beweisführung erfüllen, sprich: Er muss die Daten selbst beschaffen, was sich normalerweise als eher schwierig erweist. Eine Spur einfacher gestaltet sich dieser Nachweis bei der (mietrechtlichen) Nettorendite: Der Eigentümer kann auf seine eigenen Buchungen und Zahlen zurückgreifen und diese vorlegen, sofern nicht vorher eine Einigung erzielt worden ist.
Im Gegensatz zu den absoluten Methoden können die Komponenten bei den relativen Methoden kumulativ angewendet werden. Gemeinsam dürfen Absolut und Relativ jedoch nicht zur Anwendung kommen. Dem Eigentümer erwächst einzig aus den absoluten Methoden eine Mietzinssteigerung, die (allenfalls) an eine Marktmiete herankommen könnte. Alle anderen Methoden gleichen lediglich einen kleinen Teil der Lücke oder gar nur die Teuerung aus.
Potenzielle Mietzinserhöhung – die Möglichkeiten für den Eigentümer
Absolute Methoden
- Orts- und Quartiersüblichkeit (OR Art. 269a lit. a / VMWG Art. 11 Abs. 1)
- ungenügende (mietrechtliche) Nettorendite
Relative Methoden
- Referenzzinssatz
- Teuerungsausgleich auf dem investierten Kapital (OR Art. 269a lit. e)
- allgemeine Kostensteigerung
- wertvermehrende Investitionen
Mieterwechsel
10% Differenz als Maximum
Es verbleibt der Mieterwechsel. Hier setzt der Gesetzgeber eine Grenze in OR Art. 270 lit. b mit den Worten, dass die Miete zu diesem Zeitpunkt nicht erheblich erhöht werden dürfe. In der Praxis gilt eine Grenze von 10 % Differenz zwischen der bestehenden und der künftigen Miete. Überschreitet der Eigentümer diese Grenze, kann der Mieter nach Übernahme der Sache während 30 Tagen die Schlichtungsstelle anrufen, um die Herabsetzung zu verlangen.
Die Krux des tiefen Mietzinses bleibt
Ergattert sich ein Mieter eine kostengünstige Wohnung, wird er möglichst lange von der tiefen Miete profitieren; die Problematik verschärft sich weiter. Hebt der Eigentümer die Mietzinse bei einem Mieterwechsel auf Marktniveau an, läuft er Gefahr, durch Dritte angewiesen zu werden, die Mietzinse, nachträglich wieder zu senken. Dies, wenn der Mieter beweisen kann, dass er sich zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung wegen einer persönlichen oder familiären Notlage oder aufgrund der Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume zum Vertragsabschluss gezwungen sah.
In der Konsequenz kann der Bewerter diese Mietzinserhöhungen kalkulatorisch abbilden. Mit der Fixierung einer durchschnittlichen Mietdauer, einer entsprechend angepassten Mieterstruktur und Berücksichtigung der jeweiligen Mietzinserhöhungen lässt sich dies darstellen.
Als letzte Möglichkeit könnte der Eigentümer die Mieter allesamt rauskündigen mit der Gefahr, dass die Mieter eine Erstreckung von bis zu vier Jahren erhalten. Danach könnte er neue Mieten ansetzen und marktgerecht vermieten. Die Möglichkeit der neuen Mieter, den Anfangsmietzins anzufechten, bleibt – wie erwähnt – bestehen.
Ein Praxisbeispiel
Eine Liegenschaft mit 8 Wohneinheiten und einem Gewerbeanteil, der über das gesamte Erdgeschoss verläuft, bewohnen die Mieter, mit wenigen Ausnahmen, seit 30 oder mehr Jahren. Der Gewerbeanteil ist durch den familieneigenen Handwerksbetrieb belegt, der eine Marktmiete bezahlt. Die Mietzinserhöhungen erfolgten über die Zeit in kleinen Schritten mittels eines amtlichen Formulars und gesetzlicher Berechnungsgrundlagen. Der Eigentümer erwirtschaftet über die gesamte Liegenschaft in Bereich Wohnen einen Durchschnittspreis von CHF 120/m²/p.a.; das Gewerbe bezahlt CHF 168/m²/p.a. Die Marktmiete liegt für Wohnen, vor etwelchen Investitionen oder Erneuerungen, bei CHF 210/m²/p.a.; im Gewerbeteil bei CHF 168/m²/p.a.
Lösungsansätze
Zinssatz brutto, auf das Objekt abgestützt: 4,5 %
Nettozinssatz, auf das Objekt abgestützt: 3,0 %
Vermietbare Wohnfläche: 680 m²
Gewerbefläche: 250 m²
Mietzinseinnahmen brutto (Soll): CHF 85 100
Mietzinseinnahmen brutto zu Marktmiete: CHF 148 059
(Entmietung und Neuvermietung nach 4 Jahren)
Unterhaltsstau / technische Entwertung: CHF 450 000
Der Vergleich aus den vorgegebenen Eckdaten zeigt einen nicht zu vernachlässigenden Werteunterschied im Marktwert.
Marktwert stetige Erhöhung: CHF 1 810 000
Marktwert Erhöhung nach 4 Jahren: CHF 2 180 000
Differenz: CHF 370 000
Die Berechnungen zeigen, dass ein Bewerter mit der Problematik Marktmiete und Anhebung von Mieten sorgsam umgehen muss. Eine zu euphorische Einschätzung ergibt entsprechend einen nicht marktgerechten Wert und suggeriert dem Eigentümer entsprechende sofortige Zugewinne im (Eigen-)Kapital der Liegenschaft, die effektiv erst in der Zukunft erlangt werden können. Allgemein bleibt die Frage, inwieweit der Bewerter in der Pflicht ist, die Vergangenheit aufzuarbeiten, die Rechtsgültigkeit der einseitigen Mietvertragsänderungen zu überprüfen oder anderweitige Vereinbarungen zu hinterfragen.
Gabriela Schmassmann
Partnerin BSC immobilienmanagement GmbH; MAS FHO Real Estate Management Valuation; dipl. Immobilientreuhänderin; Dozentin an verschiedenen Bildungsinstitutionen, darunter SIREA