Gunnar Gärtner, Maximierung und Optimierung sind im Immobilienmarkt vorherrschend. Wie wirkt das auf die Bewerter?

In effizienten Märkten wird die Renditeoptimierung angestrebt. Die Mehrheit der Marktteilnehmer sind bestrebt, die verfügbaren Grundstücke optimal zu nutzen. Grund dafür sind der hohe Anlagedruck und die geringe Verfügbarkeit von Bauland. Das zeigt sich bei den Transaktionen und fordert auch den Bewerter. Im Vergleich zum Fortführungswert maximiert erst die Einrechnung der Nutzenpotenziale den Liegenschaftswert. Der Bewerter hat verschiedenste Fragen zu klären: Wie sehen die baurechtlichen Voraussetzungen aus? Wie steht es um die Machbarkeit am spezifischen Standort? Oder wie wirtschaftlich ist das Investment?

Die «Vollständige Ausschöpfung des Nutzungspotenzial» ist zwar Standard und Bewertungsvorgabe, letztlich aber eine Fiktion. Wie gehen Stake­holder damit um?

Die Diskus­sion gab es bei der Einführung von IFRS 13: Sollte ein ­institutioneller Anleger alle seine Mehrfamilienhäuser als Stockwerk­eigentum bewerten lassen, weil der Wert einer Eigentumswohnung – zum Bewertungszeitpunkt betrachtet – höher ist als der Wert einer Mietwohnung? Oder überwiegt die Betrachtung, dass ein Renditeobjekt dem institutionellen Eigentümer jedes Jahr einen guten Return bringt? Ein anderes Beispiel ist eine Dach­aufstockung, mit der das Potenzial einer Liegenschaft maximal ausgenützt werden könnte. Sie ist in vielen Fällen nicht wirtschaftlich. Der Immobilieneigentümer muss sich fortlaufend Gedanken machen, ob sich eine Ausschöpfung wirklich lohnt. Der Bewerter hat die Aufgabe, diese ­Wirtschaftslichkeitsüberlegungen der Marktteilnehmer zu antizipieren.

Welche konkrete Wirkung hat das «Highest and best use»-Prinzip auf die Fair Value-Ermittlung und den Bewerterprozess?

Der faire Wert ist der marktübliche Wert. Wenn nichts anderes vereinbart, ist es Auftrag des Bewerters, alle Überlegungen zu machen, um den maximal erzielbaren Wert zu ermitteln. Eine Maximierung des Nutzenpotenzials ist aber nicht immer gefordert. Entscheidend ist der Bewertungszweck, der im Rahmen der Auftragsklärung vom Bewerter zwingend zu klären ist.

Jedes Prinzip hat seinen Rahmen. Wie alltagstauglich ist es?

Bei einer Due Diligence für den Erwerb oder Verkauf einer Liegenschaft ist immer der ­«Highest and best use» zu prüfen, schliesslich würde jeder Käufer genauso denken und handeln. Der «best owner» einer Liegenschaft hat überdies vielleicht noch weitere Vorteile beim Erwerb eines Arrondierungsgrundstücks, der ihn als Anrainer besonders begünstigt oder eine Arealentwicklung erst ermöglicht. Meistens nicht anzuwenden ist die Maximierung des Grundstückswertes bei einer Finan­zierungsbewertung. Die Bank interessiert sich nicht für Potenziale, die der Kreditnehmer gar nicht finanzieren könnte.

Stichwort Daten: Sie werden immer zentraler. Woher bekommt der Bewerter die Immobilienmarktdaten? Und wie geht er professionell damit um?

Die Verfügbarkeit von Daten ist enorm angestiegen. Angebotsdaten und Marktdaten sind soweit frei zugänglich und für alle Marktteilnehmer verfügbar. Die Herausforderung für den Bewerter ist es, an echte Transaktionsdaten zu gelangen. Broker und institutionelle Eigentümer kennen das Marktgeschehen, Bewerter replizieren die Märkte. Der SVIT arbeitet zusammen mit SIV und der Real Estate Investment Data Association REIDA am Ausbau einer Datenbank, um Zugang zu echten Transaktionsdaten zu bekommen. Im seitwärts und in Teilsegmenten auch rückläufigem Markt sind Angebotsdaten wenig aussagekräftig und Transaktionsdaten ­zeigen eine Tendenz der Marktentwicklung auf. Wir diskutieren aktuell, wie wir anonymisierte Daten mit ausreichend Objektinformation anreichern, damit Bewerter die erhobenen Transaktionsdaten für ihre Zwecke richtig interpretieren können.

Tiefe Zinsen, hohe Preise – wo liegen die Herausforderungen im heutigen Marktumfeld?

Die Werteinflüsse bei der Werteinschätzung werden auf tiefem Zinsniveau immer grösser. Bei sinkenden Diskontierungssätzen steigt der Marktwert überproportional. Bei den derzeitigen Transaktionspreisen von Mehrfamilienhäusern in urbaner Lage ist der Hebel bei leicht tieferer Rendite erheblich; die bezahlten Preise sind aus Sicht des Bewerters kaum nachhaltig. Doch welche Alternativen hat eine Pensionskasse im heutigen Marktumfeld bei anhaltenden Negativzinsen?

Zukunft des Bewerters: Braucht es den Schätzer in Zeiten hedonischer Modelle überhaupt noch?

Hedonische Modell eigenen sich hervorragend für die ­Einschätzung von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen. Auch die Bewertungsmodelle für Standard-Mehrfamilienhäuser sind durchaus einsetzbar. Doch welchen Wert hat der JaBee-Tower, das höchste Schweizer Hochhaus für Mietwohnungen, das derzeit in Dübendorf entsteht? Wie wird das Immobilienportfolio der SBB Immobilien bewertet? Und wie hoch ist die Einkaufsdestination Mall of Switzerland zu bilanzieren? Der Bewerter ist der Wirtschaftsprüfer für Immobilien. Würden Sie ein Unternehmen kaufen oder verkaufen ohne einen Business Case? Ich glaube, die Frage müsste lauten, in welchen Fällen auch mit maschinellen Lösungen gearbeitet werden kann…

Zukunft Bewertungswesen: Was steht an?

Wir müssen gemeinsam mit allen Stakeholdern wie auch Vertretern der FINMA und der Schweizer Bankiervereinigung das Bewertungswesen der Zukunft gestalten. Die Zinswende deutet sich an. Als Experten sind wir gefordert, nicht nur den Immobilien, sondern auch unserer eigenen Arbeit den gebührenden Wert zu geben. Nach zwei Jahrzehnten steigender Immobilienwerte wird sich erst im Ausverkauf auf den Teilmärkten zeigen, ob wir als Wirtschaftsprüfer für Immobilien in der Lage waren, den zu erwartenden Business Case im Immobilienmarkt adäquat einzuschätzen.

Gunnar Gärtner über die Attraktivität deS Berufs Immobilien­bewerter/Immobilien­BEWERTERIN

Ein breites Aufgabenspektrum macht den Beruf des ­Immobilienbewerters / der ­Immobilienbewerterin so ­interessant. Der Bewerter braucht ein Grundverständnis von Makro- und Mikroökonomie, ein gutes Gespür für den Markt, viel Erfahrung im Projektmanagement, die Freude, auf Menschen in unter­schiedlichsten Funktionen zu treffen – vom Hauswart bis zum CFO –, und ein gutes Zahlenflair. Der Alltag eines Bewerters ist sehr ­vielfältig und man ­erhält Einblick in einige der spannendsten Projektentwicklungen der Schweiz. Ein erfahrener Immobilienbewerter darf jedes Jahr 120 bis 150 Objekte anschauen. Diese Kadenz ist anspruchsvoll. In der Ausbildung wird die Komplexität der ­Bewertung reduziert; die ­Studenten ­erstellen bereits zum Abschluss des ersten Semesters ein ­eigenes Gutachten. Das ist eine gute Lernerfahrung, ­ersetzt jahrelange Praxis­erfahrung jedoch nicht.

Gunnar Gärtner

MRICS, Dipl.-Bauingenieur, Inhaber und Geschäftsführer COMRE AG, Zürich, Präsident der Schätzungsexperten-Kammer SVIT, Dozent bei Sirea, Management-Zertifikate ES-HSG St.Gallen, Wei­terbildungen CUREM und DIA

  1. «Highest and beste use» (engl. höchster und bester Nutzen) ist ein Konzept, das von Ökonomen wie Irving Fisher bereits im späten 19. Jahrhundert entwickelt wurde. Mit zunehmender Bedeutung der internationalen Standards rund um die Rechnungslegungsvorschrift IFRS, die als Hauptziel die so genannte «true and fair presentation» hat, hat das Konzept auch in der Immobilienbewertung an Bedeutung gewonnen resp. gilt als Standard. Das Fair Value Measurement das gemäss IFRS 13 zur Bestimmung des Marktwertes anzuwenden ist, berücksichtigt die Nutzung des Vermögensgegenstandes (eine Immobilie) in seiner höchsten und besten Verwendung resp. spiegelt jenen (besten) Wert, der ein anderer Marktteilnehmer bei einem Verkauf erzielen würde – so, wie es physisch möglich, rechtlich zulässig und finanziell durchführbar ist.