Ja, eines einzigen Bewertungsgutachtens. Und dazu nochmals etwa so viele Seiten als Beilagen. Hoppla. Respekt. Da wurde nicht gekleckert. Seit seinen Jahren in den USA sind dem einfachen Bewerter keine derart papierreichen Dokumente mit dem Namen Appraisal Report mehr in die Hände gekommen. Nun muss gesagt werden, dass es sich bei diesen – also weit über dreihundertfünfzig – Seiten um ein Gerichtsgutachten handelt. Vor Gericht muss mit Worten nicht gespart werden, das gebietet allein schon das rechtliche Gehör. Das Gericht prüft zumindest, ob das Gutachten vollständig, klar, gehörig begründet und widerspruchslos sei. Das wird natürlich der bei diesem schwergewichtigen Gutachten aktiv gewesene Gutachter wissen, hat er doch nebst der Ausbildung als Immobilienbewerter auch einen juristischen Abschluss. Bei Gerichtsgutachten sind ausführlichere Herleitungen, Begründungen und Zitierungen unausweichlich.

Und so wird denn auch auf diesen einhundertzweiundneunzig Seiten auf das Ausgiebigste zitiert. Von den zweihundertneunundneunzig Fussnoten dürften etwa zwei Drittel Verweise auf Stellen in Gesetzen, Verordnungen oder Aktenstücke im Anhang sein. Interessant sind jedoch die rund sechzig Fussnoten mit Verweisen auf Bewertungsfachliteratur. Doch vorerst ein Blick auf die insgesamt aufgeführte Fachliteratur – und gleich die erste Überraschung.

Nebst einem zweibändigen Werk zum Zürcher Planungs- und Baugesetz ist die literarische Speisekarte bescheiden: das Schweizerische Schätzerhandbuch, Kaspar Fierz und – man höre und staune – Naegeli Wenger, Ausgabe 1997. Die grossen Abwesenden somit: Swiss Valuation Standard, Canonica, es fehlen die ausgezeichneten Publikationen der ZKB, wie «Immobilienmarkt Zürich: Immobilienpreise und Bauinvestitionen unter der Lupe» (1996), «Preise, Mieten und Renditen: Der Immobilienmarkt transparent gemacht» (2004), «Wertvoller Boden» (2008), dann natürlich ausländische Werke wie die International Valuation Standards oder Kleibers «Verkehrswertermittlung von Grundstücken» (2014).

Die ZKB-Publikationen sind insbesondere bei Verwendung der Vergleichswertmethode hilfreich, weil sie – anders als Canonica – für diese Methode konkrete Möglichkeiten des Ausgleichs mit Vergleichsgrundstücken aufzeigen.

Eine quasi reibungslose Zusammenarbeit – zuträglich?

Das am häufigsten zitierte Werk aus dem Literaturverzeichnis des voluminösen Gutachtens ist aber nicht etwa eines der Bewertungsliteratur, sondern der «Kommentar zum harmonisierten Zürcher Steuergesetz» von Richner, Frei, Kaufmann, Meuter (2013). Sechsunddreissig Fussnoten deuten darauf, wie bedeutungsvoll das Buch dem hier tätigen Gerichtsgutachter erscheint. Dieses eigentliche Standardwerk zum Zürcher Steuergesetz behandelt unter anderem aus steuerrechtlicher Sicht auch Themen, die Immobilienbewerter beschäftigen können. Seine Kenntnis ist zumindest für im Kanton Zürich aktive Bewerter, die ein steuernahes ­Thema bearbeiten, ein Muss.

Das Autorenteam mit Prof. Dr. iur. Felix Richner als Frontmann zieht seinen Buchinhalt natürlich zum allergrössten Teil aus steuerrechtlichen Gerichtsentscheiden. Es ist denn kaum erstaunlich, dass nicht nur unser Gerichtsgutachter das Werk von Richner am häufigsten zitiert. Nein, auch Gerichte zitieren Richner mit schöner Regelmässigkeit. Und so kann man nahezu sagen, dass wir hier auf eine quasi reibungslose Zusammenarbeit gestossen sind. Richner zitiert die Gerichte und die Gerichte zitieren Richner. Ein Perpetuum mobile also? Kann, ja muss hier Heureka gesagt werden?

Einfache Bewerter glauben zu wissen, dass Gerichte im ständig sich weiterentwickelnden Fachbereich der Immobilienbewertung nicht Frontrunner, sondern, sagen wir mal, eher Traditionalisten sind. Nur schon der Ausdruck «Verkehrswert», der dazu noch in nicht wenigen und nicht uralten Entscheiden mit dem unseligen Mischwert verknüpft ist, kann dazu als Beispiel dienen. Die quasi reibungslose Zusammenarbeit wäre somit womöglich der Weiterentwicklung der Lehre wenig zuträglich. In der Biologie kennt man zwar die homokline Bestäubung. Diese Selbstbefruchtung scheint immerhin der Evolution nicht abträglich gewesen zu sein

Martin Frei

MSc ETH in Architektur / SIA, MAS ETH in Management, Technology and Economics / BWI, Zürich