3355 Mrd. CHF Marktwert aller Gebäude

1000 Datenquellen als Basis

Beginnen wir mit einer Schätzfrage: Angenommen, jemand erwirbt den gesamten Schweizer Boden und sämtliche Immobilien darauf. Wie viel wäre das Wert? Die Antwort sei an dieser Stelle noch nicht verraten, dafür etwas anderes: Es könnte sein, dass die Antwort in der Zukunft mit einem einzigen Klick eruiert werden kann. Davon sind wir heute weit entfernt. Die Bewertung von Grösse, Baustil und Lage sind nur drei der zahlreichen Parameter, die das Schätzen so aufwändig machen – und oft auch intransparent. Das könnte sich jedoch ändern, wie zwei europäische Start-ups aus der Immobilienbranche zeigen. Die beiden Unternehmen profitieren von Fortschritten der künstlichen Intelligenz (KI) sowie von einer Explo­sion der zur Verfügung stehenden Daten.

Die Bewertungsplattform Geophy wurde von zwei ehemaligen holländischen Architekten in Delft gebaut. Geophy nutzt KI, um den Marktwert von Immobilien zu berechnen. Täglich werden bis zu einer Million Gebäude in die Datenbank aufgenommen. Jeder Eintrag wird mit bis zu 1000 Datenpunkten aus öffent­lichen und privaten Datenquellen angereichert: zum Beispiel aus Satellitenbildern, Verkehrsverbindungen, Grünflächen, Siedlungsdichte, Kriminalitätsraten, demografischen Kennzahlen oder Zinssätzen. Die Algorithmen verarbeiten die immensen Datenmengen innert Kürze und erkennen die Zusammenhänge der gesammelten Merkmale. Geophy verspricht als Resultat eine blitzschnelle und hochgenaue Schätzung des Werts einer Immobilie.

Start-ups disruptieren die ­Immobilienbewertungsbranche

Das zweite Start-up, Nested aus London, will den Kauf- und Verkaufsprozess von Immobilien auf globaler Ebene effizienter gestalten. Das Unternehmen verspricht, jede Immobilie selber zu kaufen, die es innerhalb von 90 Tagen nicht auf dem freien Markt hat verkaufen können. Dadurch sollen die sogenannten Grundstücksketten durchbrochen werden: nämlich die Logik, wonach man sein eigenes Haus erst verkaufen kann, wenn der künftige Käufer sein Haus verkauft hat – an jemanden, der sein Haus auch schon verkauft hat, und so weiter. Wie bei Geophy ist die Immobilienbewertung auch bei Nested ein wichtiger Teil des Geschäftsmodells, obschon die Daten hier ohne künstliche Intelligenz zusammengetragen werden. Beide Dienste machen die Branche dynamischer: Während Geophy die Immobilienbewertungen automatisiert, beschleunigt Nested sie.

Airbnb für permanentes ­Wohnen?

In der Langzeitperspektive ist eine Immobilienbranche denkbar, die nach der Logik und der Benutzerfreundlichkeit von Airbnb funktioniert. Die Plattform ist heute faktisch der grösste Anbieter von Immobilien, ohne auch nur eine einzige zu besitzen. Airbnb listet alle ihre Angebote auf einer Karte mit Preis und Bewertungen, Likes und Dislikes – ein überaus transparentes Angebot. Der Immobilienmarkt als Ganzes hingegen ist wenig transparent. Oft müssen Angebote von freien Wohnungen auf den Websites verschiedener Anbieter zusammengesucht werden, falls sie nicht ohnehin unter der Hand weggehen. Und nur in wenigen Fällen wird der Verkaufspreis eines Immobilienobjekts öffentlich bekannt. Stellen wir uns daher vor, es herrschte in der Miet- und Verkaufsbranche die gleiche Transparenz wie bei den temporär nutzbaren Angeboten auf Airbnb. Stellen wir uns weiter vor, es gäbe eine Karte, auf der nicht nur alle auf dem Markt verfügbaren Wohnungen verzeichnet wären, sondern überhaupt alle existierenden. Eine Karte, in die man rein- und rauszoomen könnte, mit Angaben zu allen Wohnungen – mit Preisen, Bewertungen, Likes und Dislikes. Geophy und Nested arbeiten bereits in diese Richtung. Sie versuchen, Immobiliendaten einfacher zugänglich zu machen und die Branche zu modernisieren.

Konsequenzen der Transparenz


Wie weiter? Anstelle von privaten Initiativen könnte ein nächster Schritt zum Beispiel ein öffentliches und digitales Grundbuch sein. Der Bund fördert diese Idee bereits und hat im Oktober 2018 entschieden, das digitale Grundbuch weiter voranzutreiben. Jedenfalls wird sich der Immobilienmarkt langfristig kaum der Logik von Open Data entziehen können: öffentlich frei verfügbare und nutzbare Daten. Denn erstens bringen Open-Data-Plattformen Innovationspotential. Sobald Daten öffentlich sind, werden sich Anwendungen finden, an die wir heute noch nicht einmal denken. Zweitens führen solche Plattformen zu mehr Dynamik im eher trägen Immobilienmarkt. Miete, Kauf und Verkauf passieren schneller und benutzerfreundlicher – so wie bei Airbnb. Drittens wird sich mehr Transparenz auf die Miet- und Kaufpreise der Objekte auswirken, streng gemäss ökonomischer Logik. Wobei sich natürlich kaum voraussagen lässt, wo der Preis im Einzelfall steigen und wo er fallen wird. Das Wohnen würde damit ­vollends der Marktlogik unterworfen, was zumindest politisch brisant wäre.

Kommen wir zurück zur Schätzfrage vom Anfang. Der Schweizer Boden und sämtliche Immobilien darauf sind vier Billionen Franken wert. Das sind 4000 Milliarden Franken. Dies, glaubt man der Aussage von Kantonsrätin Jacqueline Badran. Ob die Zahl stimmt und auf welchen Grundlagen sie basiert, konnten unsere Recherchen leider nicht ausfindig machen. Auch unsere Anfrage bei Frau Badran blieb unbeantwortet. Die Zahl bleibt also eine These. Allerdings keine unrealistische. Gemäss der aktuellsten ­Studie des Bundesamtes für Wohnungswesen (BWO) aus dem Jahre 2014 liegt der Erstellungswert aller Bauten in der Schweiz bei rund 3355 Milliarden Franken. Ein Wert, der in Zukunft weiter steigen wird, weil mehr Häuser gebaut werden und der Boden als unvermehrbares Gut an Wert gewinnt. Ob diese Vorhersage tatsächlich eintrifft und wie sich der Wert des Schweizer Bodens und sämtlicher Immobilien darauf verändert, kann zukünftig vielleicht auf ­einem Live-Ticker verfolgt werden.

Über den Community-Markplatz können ­Unterkünfte vermietet und gebucht werden. Sowohl private als auch gewerbliche Ver­mieter vermieten ihr «Zuhause» oder einen Teil davon unter Vermittlung des Unternehmens. Seit der Gründung 2008 wurden weltweit über 400 Millionen Übernachtungen über Airbnb gebucht (Stand Oktober 2018). Bis 2028 sollen es nach Angaben des Unter­nehmens eine Milliarde Übernachtungen pro Jahr sein.
airbnb.com

Das Unternehmen wurde 2014 gegründet und beschäftigt rund 100 Mitarbeitende. Es arbeitet mit Investoren und Immobilien­unternehmen weltweit. Hinter Geophy steckt eine digitale Datenverwaltungsplattform für den Immobiliensektor. Durch die Nutzung von Big Data und KI stellt die Plattform eine Fülle an Daten für die transparente und präzise Ermittlung von Immobi­lienwerten bereit – gemäss Firmenangaben eine kostengünstige und schnelle Alternative zur traditionellen Immobilienbewertung.
geophy.com

Das Unternehmen versteht sich als ersten Immobilienmakler, der Livedaten für den Verkauf von Eigenheimen mit vorhersag­baren Zeitplänen verwendet. Die Plattform soll Abhängigkeiten, Zeitnot und den Kostendruck von Eigentümern reduzieren und so Vorteile und Verhandlungsspielräume im Verkaufsprozess schaffen. Gemäss Angaben des Geschäftsführers Matt Robinson wird das Start-up von führenden europäischen Unternehmen unterstützt. Firmen wie­ North­zone, Spotify oder Trustpilot werden als Investoren genannt.
nested.com

Stefan Breit

Stefan Breit ist Researcher am Gottlieb Duttweiler Institut (GDI). Er analysiert gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Veränderungen mit den Schwerpunkten Wohnen, Infrastruktur und Umwelt.