Fangen wir an mit dem Bauwerk, um das es bei der Bewertung geht. Die verfügbaren Unterlagen geben ein Gebäudevolumen an. Ist es jenes nach der SIA Norm 416? Oder jenes nach SIA 116? Oder jenes einer kantonalen Gebäudeversicherung? Unsicher also. Ebenso steht es mit den Angaben zu den Flächen im Bauwerk. Sind es Masse, die vom Eigentümer ohne Fachkenntnisse stammen? Sind es jene nach SIA 416? Sind es jene gemäss SIA Dokumentation d165? Oder jene von RICS? Oder von IPD? Oder nach DIN EN 15221-6? Unsicher also.
Dass es sich bei den Flächendifferenzen nicht um Kleinigkeiten handelt, zeigen jene Fälle, die schliesslich vor einem Gericht landen. Man würde meinen, bei der Gebäudegeometrie wäre ja noch alles einfach. Irrtum. Die Unterschiede der Flächen können je nach verwendeter Messgrundlage bis zu 30 % betragen, jene bei den Volumen allein bei Verwendung der Schweizer Normen bis zu 10 %.
Was weiss der Bewerter über …
Gehen wir zum Ertrag, den wir einer Bewertung zugrunde legen. Man würde meinen, ein vor zwei, drei Wochen abgeschlossener Mietvertrag für eine Wohnung in einem gerade fertig erstellten Neubau wäre eine bessere Grundlage für den Ertrag als Angaben des Vermieters in einem Mieterspiegel, in dem der Bewerter nicht selten keinerlei Angaben über den Zeitpunkt der letzten Mietzinsanpassung an den Referenzzinssatz des Bundesamtes für Wohnungswesen findet. Aber weiss der Bewerter, ob der Mieter dieser Wohnung trotz eben unterzeichneten Mietvertrags diesen anficht und vor Gericht eine Mietzinsreduktion zugesprochen erhält? Ohne Mietverträge mit sämtlichen Nachträgen sind Mieterspiegel so unsicher wie die Flächen- und Massenangaben. Was weiss der Bewerter im Weiteren über die aktuelle und zukünftige Zahlungsfähigkeit der Mieter? Und apropos zukünftig: Was weiss der Bewerter über die Entwicklung der Mietzinsen für die kommenden Jahre? Der zukünftige Ertrag ist das Gelbe vom Bewertungs-Ei. Der bisherige Cashflow ist nur für den Buchhalter und das Steueramt von Bedeutung.
Einfach? Mitnichten
Die Aufwandseite des Bauwerks öffnet ein weiteres Feld von Unsicherheiten. Welche der gültigen Normen allein bezüglich Energie und Lärm sind aktuell tatsächlich erfüllt und welche sind über kurz oder lang obsolet, mithin unter entsprechend noch unklaren Kostenfolgen und unklarem Zeitpunkt wieder zu erreichen?
Schliesslich ist sich der einfache Bewerter im Klaren darüber, dass er bei der Bestimmung des Marktwertes den Grundsatz der bestmöglichen Nutzung, oder die «Möglichkeit einer besseren Verwendung für einen beliebigen Käufer», wie das Bundesgericht schon 1987 festhielt (BGE 113 Ib 39), zu berücksichtigen hat. Was also hier und heute dasteht, ist abzusuchen nach Entwicklungspotenzial. Die Theorie sagt klar und einfach, dass eine solche Entwicklung physisch möglich, rechtlich erlaubt und finanziell durchführbar sein muss (IFRS 13). Nur: Einfach ist das mitnichten. Und also eben auch unsicher.
Szenenwechsel, soweit Sie noch mögen. Oder ist Ihnen schon schwindlig geworden ob all dieser Unsicherheit? Bekannt ist, dass der Bewerter auf seinem Weg zur Wertfindung am sichersten fährt, wenn er eine oder mehrere Vergleichstransaktionen beiziehen kann. Sind, wie seit Frühjahr 2020, solche selten oder fehlen ganz, ist bereits Ende mit sicher.
Auch die Hedonisten sind vor Unsicherheit nicht gefeit
Kennen Sie Regensberg, die kleine Gemeinde im Zürcher Unterland, eine halbe ÖV-Stunde weg vom Zürich Hauptbahnhof? Zwischen 2009 und Ende 2019 gab es lediglich zwei Transaktionen mit Stockwerkeigentum, eine 2009, eine 2017. Diese äusserst magere Datenlage hindert aber Bewertungsriesen und Datenverwurster nicht daran, Sicherheit vorzugaukeln. Ihr kostenpflichtiges Angebot gibt vor, «Eigentumswohnungen (Kaufpreis in CHF pro m²)» nach Quantilen und sogar eine «quartalsweise Entwicklung der Preisspektren (Kaufpreis in CHF pro m²)» zwischen 2009 und 2019 zu zeigen. Die appetitliche Präsentation in Zahlen und Diagrammen verführt dazu, ihr zu glauben. Dabei ist diese Sache mehr als unsicher. Aber auch jene, deren Businessmodell auf Hedonie basiert, müssten für ihre Mitarbeitenden eigentlich längst Kurzarbeit beantragt haben oder sie zum regionalen Arbeitsvermittlungsamt schicken. Auch ihnen fehlt doch der Treibstoff der Hedonie, die Transaktionen.
Auch die Hedonisten sind vor Unsicherheit nicht gefeit.
Das war zwar bereits vor Corona ein Problem, aber es wurde selten so offensichtlich. Mit anderen Worten: Auch die Hedonisten sind vor Unsicherheit nicht gefeit. Vor Jahren publizierte der Tages-Anzeiger in einer losen Folge über einen längeren Zeitraum Resultate hedonischer Bewertungen von Wüest, ZKB und IAZ für Einfamilienhäuser im Kanton Zürich. Die Abweichungen pro Haus vom jeweils tiefsten Resultat der drei Bewertungen waren im Bereich von 0 % bis 30 %. Wenig Sicherheit, also. Fahrländer hatte Glück, er war noch nicht dabei bei diesem Hedoniker-Grand-Prix.
Doch selbst bei Transaktionsdaten ist nicht alles sicher. Ein tatsächlich bezahlter Preis, den man aus einer Transaktion kennt, ist jedenfalls kein sicherer Schutz gegen Unsicherheit. Selbst wenn ein beurkundeter Kaufvertrag verfügbar ist, ist unsicher, ob die Vertragsparteien und der Vertrag die Bedingungen erfüllen, damit es sich um einen Marktwert per Definition handelt. Sachkenntnis, Umsicht, das Fehlen von Zwängen, ein angemessener Vermarktungszeitraum und «ein gewöhnlicher Geschäftsverkehr» sind bei einer Transaktion nicht so einfach und offensichtlich gegeben. Transaktionen, bei denen die Parteien einen Kaufpreis mit Absicht unter dem Marktwert ansetzen, enden gelegentlich in Lausanne.
Wenn wir schliesslich die Sammlung der Angebotspreise betrachten, welche die Datenkraken verkaufen, ist nicht mehr viel zu ergänzen bezüglich Unsicherheit. Die dazu verwendeten Daten werden vermutlich mehrheitlich von Datenbienchen eingesammelt und basieren auf Inseraten, die nicht selten von Menschen platziert werden, die von der ganzen Unsicherheitsbürde der Flächenermittlung unbelastet mit dem Doppelmeter durch die Räume gehen, die sie loswerden möchten. Wie zuverlässig die Angaben in einem Angebot werden, kann man an Gerichtsentscheiden sehen, in dem der neue Mieter beim späteren Nachmessen feststellt, dass die im Mietvertrag aufgenommene Fläche von 113 m² in Wahrheit nur 107 m² beträgt (BGer 4A_108 / 2019 vom 22.1.2020).
Nur eines bleibt sicher
Was schliesslich zu ergänzen bleibt, ist die Sache mit den Zinssätzen. Wir wissen, die Zinssätze sind das eigentliche Miraculin einer Bewertung, und es braucht sie fast unabhängig davon, welche Bewertungsmethode verwendet wird. Nur die Hedonisten können hier ausnahmsweise mit gutem Gewissen lachen. Wer gehofft hat, mit dem bisher Gesagten sei das Schlimmste bezüglich Unsicherheit im Bewertungswesen überstanden, muss nochmals leiden.
Es ist schon äusserst anspruchsvoll, einen Diskontierungssatz oder Kapitalisierungssatz für den heutigen Tag zu bestimmen. Sicher an diesem ist nur der risikoarme Basissatz, denn er wird, etwa in Form der Rendite der Bundesobligation der Eidgenossenschaft, von der Nationalbank täglich auf drei Stellen nach dem Komma genau veröffentlicht. Alles Zugemüse vom Basissatz bis zum verwendeten Diskontierungssatz, also etwa der Immobilitätszuschlag, und die ganzen objekt- und lagespezifischen Zuschläge sind wieder voll von Unsicherheit. Brauchen wir einen Kapitalisierungssatz, wird die Sache nicht besser, sondern mitunter noch viel unsicherer, falls es zum Beispiel bei der Verwendung der DCF-Methode um die Bestimmung eines Exitwertes geht, wo bekanntlich ein zukünftiger Nettoertrag, also jener von in vielleicht zehn Jahren, einzusetzen ist.
Oh Schreck, lass nach. Was kann uns in diesem finstern Jammertal der Unsicherheiten als Lichtlein in der Not dienen, uns womöglich einen Ausweg zeigen? Es ist vermutlich nicht eine neuere oder bessere Theorie. Es ist viel eher die Tatsache, dass trotz aller Unsicherheit Grundstücke gekauft und verkauft werden. Dabei scheint es keine Rolle zu spielen, dass – bei Lichte betrachtet – bei einer Bewertung nur eines sicher ist: Ganz sicher ist alles unsicher. Also weitermachen, Bewertungs-Zampanos!
Martin Frei
MSc ETH in Architektur / SIA, MAS ETH in Management, Technology and Economics / BWI, Zürich