Angesichts der beeindruckenden Er­geb­nisse überrascht der aktuelle KI-Hype nicht. In allen Gesellschaftsbereichen wird darüber diskutiert und spekuliert. Fiktion und Wirklichkeit vermischen sich dabei stark. Und die präsentierten Zukunftsaussichten erinnern mich an die Science-Fiction-Werke meiner Jugend – irgendwo zwischen empfindungsfähigen Androiden aus Star Trek und massenmordenden Supercomputern aus Terminator.

Ich bin bereits seit Längerem täglich mit Anwendungen konfrontiert, die unter den Begriff KI fallen. In der Datenanalyse haben sich «lernende Modelle» vor einigen Jahren etabliert. Auch beim Programmieren möchte ich auf KI-Unterstützung nicht verzichten, da ich weniger Zeit mit banalen Problemen verliere. Und dank ChatGPT und Co. optimiere ich meine «händische» Internetrecherche. Ökonomisch ausgedrückt: Meine Produktivität hat sich durch KI erhöht. Auch darum bin ich ein grosser Fan dieser Technologien. Allerdings merke ich, dass etwas Wesentliches fehlt. Denn die Anwendungen sind alles andere als intelligent. Ich muss jede durch KI generierte Codezeile, Zusammenfassung oder Schätzung auf Herz und Nieren prüfen – und die Fehlerquote ist hoch. Zudem scheitern meine KI-­Helfer immer dann, wenn etwas ­Kreativität gefragt ist.

Dies ist der Funktionsweise der heutigen KI-Anwendungen geschuldet. Ein Algorithmus versucht dabei, ein Problem anhand von Mustererkennungen innerhalb einer gegebenen Datenbasis zu lösen. Wenn nun ein konkreter Fall mit den vorhandenen Informationen schlecht abbildbar ist, ist das Ergebnis problematisch. Gerade in der Immobilienbranche ist dies eine grosse Herausforderung. Denn Daten sind vielerorts Mangelware.

«Meine KI-Helfer scheitern immer dann, wenn etwas Kreativität gefragt ist.»

Bei vielen Standardprozessen werden wir schon bald sehr grosse Fortschritte erleben. Man denke zum Beispiel an die automatisierte Dokumentenvorprüfung im Hypothekarprozess, die KI-generierte Ausschreibung von Mietwohnungen oder die Schätzung der Preisentwicklung einer typischen Stadtwohnung. Nun wissen wir aber alle: Die diversen Aspekte von Liegenschaften, Bauprojekten und von Eigentümern lassen sich nicht so leicht standardisieren. Die Bewertung eines Spezial­objekts, die Planung einer komplexeren Überbauung oder die Prüfung von Baugesuchen im eidgenössischen Bauordnungsdschungel können mit keinem automatisierten Vergleich gelöst werden. Kreativität, Pragmatismus, Feingefühl und jahrelange Erfahrung – also echte, menschliche Intelligenz – bleiben unverzichtbar.

Auch bei den akuten Herausforderungen am Immobilienmarkt wird uns die KI kaum helfen. Sie kann uns zwar dabei unterstützen, unseren knappen Boden effizienter zu nutzen und die sich dramatisch akzentuierende Wohnungsknappheit etwas lindern. Die zu tiefe Bautätigkeit, die zu schleppende Verdichtung und die grossen Fehlanreize bei der Flächennutzung ergeben sich jedoch durch strukturelle Probleme, die sich nicht durch punktuelle Effizienzsteigerungen lösen lassen. Nichts führt an einem Überdenken vieler Grundsätze in der Raumplanung, in den Bauordnungen oder im Mietrecht vorbei. Und hier ist unsere Gesellschaft mit komplexen Güterabwägungen konfrontiert, die auf absehbare Zeit definitiv nicht durch KI gelöst werden können – und vor allem auch nicht sollten.

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Zur Person

Michel Fleury analysiert bei Raiffeisen Schweiz täglich die Struktur und die Entwicklung des schweizerischen Immobilienmarktes. Seine dabei gewonnenen Erkenntnisse bilden die Grundlage für die offizielle Immobilienmarktmeinung der ­
Raiffeisen Gruppe. Michel Fleury hat an der Universität Zürich Politikwissenschaften und Geschichte ­studiert und war vor seiner  Tätigkeit im Bankensektor als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich tätig.