Pascal Küng, Sie sind Leiter Bewertung bei der «HEV Verwaltungs AG» in St. Gallen. Was kommt in Sachen MFH alles auf Ihren Tisch?

Wir bewerten eine Vielzahl von Renditeobjekten, darunter auch das klassische Mehrfamilienhaus mit reiner Wohnnutzung. Das Spektrum reicht dabei von Bestandesbauten bis zu grösseren Neubauten und Projekten. Daneben bewerten wir auch Klein- und Kleinst-Mehrfamilienhäuser mit drei bis vier Wohneinheiten.

Stichwort «MFH und Entwertung» – was fällt Ihnen spontan ein?

Die beiden Begriffe sind eng miteinander verwoben, weil grundsätzlich jedes Bauwerk – aber nicht das Bauland – einer Entwertung unterliegt, sobald es erstellt oder saniert wurde. Da bildet das Mehrfamilienhaus keine Ausnahme. Was ich mich beim Betrachten von Transaktionspreisen von Mehrfamilienhäusern oft frage, ist, ob der technischen Entwertung ausreichend Betrachtung geschenkt wird.

Wie verhält sich die technische Entwertung im Vergleich zur wirtschaftlichen?

Während die technische Entwertung meiner Meinung nach relativ klar und eindeutig hergeführt werden kann, kann die wirtschaftliche Entwertung vielerlei Gründe haben: so etwa überteuerte und/oder unnötige Ausbauten, Kunst am Bau, nicht mehr zeitgemäss gestaltete Grundrisse, Raumhöhen und Ausbauten oder fehlende Nachfrage für das spezifische Preis- oder Objektsegment.

Für die technische Entwertung ist nicht etwa die Vergangenheit, sondern die Zukunft massgebend. Bitte nehmen Sie Stellung.

Die technische Entwertung ist vom Betrag und dem Zeitpunkt einer künftig notwenigen Erneuerung abhängig. Rückstellungen, die zwar gebildet, jedoch aufgrund der jeweiligen Zyklen noch nicht investiert werden, bilden den Rückstellungssaldo und entsprechen der technischen Entwertung. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf den in Zukunft anfallenden Erneuerungskosten.

Was muss im Zusammenhang mit Entwertung bei der Schätzung eines MFH weiter beachtet werden?

Die Rückstellungsberechnung, die Teil der technischen Entwertung ist, wird massgebend durch den zugrunde liegenden Zinssatz beeinflusst. Je höher der angewendete Zinssatz, umso tiefer die Rückstellung und umso tiefer die berechnete technische Entwertung. Ebenfalls gilt es, eine Restlebensdauer hinsichtlich Praxis und theoretischer Lebensdauer abzuwägen.

Im Alltag: Welche Methode wählen Sie in welchem (MFH-)Fall?

Wir wenden die finanzmathematische Entwertungsmethode an und plausibilisieren mit Gegenrechnungen.

Wo liegen die Herausforderungen im Zusammenhang mit Entwertungen bei Mehrfamilienhäusern?

Wie erwähnt, liegt ein gewisses Ermessen zwischen der theoretischen Lebensdauer der Bauteile und der Erneuerungskadenz in der Praxis. Oftmals treffen wir Bauteile an, die ihre theoretische Lebensdauer überschritten haben, jedoch aufgrund der Qualität und des Zustandes noch nicht ersetzt werden müssen. Weiter gibt es Liegenschaften, die möglichst lange intakt gehalten werden, anstatt sie nachhaltig zu sanieren und instand zu stellen. Dabei entstehen Abweichungen von der technischen Entwertung aus Sicht des Schätzers zur Vorstellung des Investors/Eigentümers. So kalkulieren Bauunternehmen, Handwerker oder Grossinvestoren aufgrund ihrer Kostenstruktur die Kosten zur Behebung der technischen Entwertung unter Umständen tiefer als der Liegenschaftsschätzer.

Wie denken Sie über den (Un-)Sinn von Lebensdauerzyklen?

Die Lebensdauerzyklen haben sicherlich ihre Berech­tigung. Auf das einzelne Bauteil betrachtet, werden die Zyklen oftmals verlängert oder gekürzt, damit sie im Verbund mit weiteren Bauteilen innerhalb einer Bauteilgruppe saniert werden können. Bei mietrechtlichen Belangen stellt sich die Frage der Lebensdauer beispielsweise bei jeder Wohnungsabnahme und dient als Orientierung für allfällige Kosten­beteiligungen seitens der Mieterschaft.

Was hat sich in Sachen technischer Entwertung bei MFH in den letzten Jahren getan? Welche möglichen Entwicklungen stehen an?

Ältere, erfahrenere Berufskollegen könnten diese Frage bestimmt besser beantworten. Ich gehe jedoch davon aus, dass die technische Entwertung heute detaillierter hergeführt wird als beispielsweise noch vor 20 oder 30 Jahren. Parallel dazu wird die DCF-Bewertung mit Berücksichtigung der Investitions­kostenrechnung häufiger angewendet. Wichtige Herausforderung wird bleiben, der technischen Entwertung ausreichend Gewicht zuzubilligen, trotz – oder gerade wegen – des anhaltenden Anlagedrucks und teils überhöhterMarktpreise.

Welchen Tipp haben Sie abschliessend an Bewerterkollegen, diesen Wunsch an Besteller von Bewertungsgutachten und diese Info für Besitzer, Investoren & Co?

Erfahrene Berufskollegen benötigen keine Tipps von mir. Generell ist wichtig, die technische Entwertung nicht zu unterschätzen; sie darf nicht etwa zugunsten eines höheren Marktwertes tief gehalten werden. Jenen, die Gutachten bestellen, raten wir, die technische Entwertung jeweils kritisch zu hinterfragen, daraus den Investitionsbedarf zu erkennen und entsprechend zu planen.

Pascal Küng

MAS Real Estate
Management FH,
Dipl. Bankwirtschafter HF, Leiter Schätzung bei der HEV Verwaltungs AG, St. Gallen; Mitglied der Geschäftsleitung