Wir konnten ja erst von Ärzten mit einem siebenstelligen Jahressalär lesen. Apotheker dürften wohl auch selten darben. Die jährlichen Gesundheitskosten in der Schweiz, die von 1990 mit CHF 26,9 Milliarden allein bis 2014 auf CHF 71,2 Milliarden stiegen, bleiben ja nicht ausschliesslich in irgendwelchen Taschen bei Roche und Novartis hängen. Anwälte, als weitere Vertreter dieser Triple-AAA-Verdiener, sind nicht eben als bescheiden bekannt, sondern als Dienstleister mit Stundenansätzen von rasch einmal ein paar Hundert, wenn nicht gar einer vierstelligen Zahl von Mäusen.
Anders als erhofft
Wir kommen mit den A-Berufen weiter zu den Architekten. Bei ihnen ist zwar die Sache mit dem Wohlstand nicht so nahezu unausweichlich wie bei den vorgenannten Berufsgattungen. Sie müssen es nicht zwingend zu 50-Meter-Motorjachten im Mittelmeer bringen. Aber sie sind hier dennoch besonders erwähnenswert. Ihr monetärer Tiefgang hängt nämlich nicht in erster Linie von ihrem tatsächlichen beruflichen Können ab, sondern ist schlicht eine Konsequenz des Umfangs der von ihnen realisierten Baumassen und deren Kosten. Ihr – sagen wir mal – sich am edelsten fühlender Berufsverband, der SIA, konnte die Praxis, dass die Honorare an die Baukosten gekettet sind, während Jahrzehnten (bis die Wettbewerbskommission 2015 eine kartell-ähnliche Situation ortete und einschritt) vorgeben und hochhalten. Dem, der folglich als Architekt möglichst grosse und möglichst teure Bauten hinstellte, spülte es am meisten Kohle in die Tasche, egal, wie gut und schön und nützlich das Gebaute schliesslich war.
Und nützlich sollten Bauten ja eigentlich schon sein. Sind sie unnützlich, stehen sie leer oder halbleer. Das ist unter anderem ein Grund dafür, dass in Basel das Stücki-Areal seit 2009 als neu erstelltes Einkaufszentrum permanent mit Leerständen zu kämpfen hatte und nie, wie von den Architekten erhofft, funktionierte. Die vollmundig «Mall of Switzerland» getaufte Überbauung in Ebikon bei Luzern, die 2017 wegen vieler Leerstände mit Verspätung aufging, hatte bereits in der Erstvermietung um Mieter zu kämpfen. Sie hat auch heute immer noch Leerstände und versucht, im Attikageschoss Flächen, die für Läden vorgesehen waren, anderweitig zu nutzen. Das 2011 fertig gebaute Einkaufszentrum Centro Ovale in Chiasso steht seit 2015 leer; man sucht seither eine andere Verwendung.
Ausschliesslich den Architekten den schwarzen Peter für Leerstände zuzuschieben, wäre zu kurz gegriffen.
Lieber ein volles Portemonnaie
Es sind längst nicht nur Einkaufszentren, bei denen Architekten allermindestens mitverantwortlich sind, dass Bauten unnützlich sind und daher leer stehen. Auch Büro- und Wohnbauten können dieses Schicksal erleiden, wenn sie am falschen Ort und in falscher Grösse oder Anzahl erstellt werden. Man schaue sich bezüglich Wohnungen einmal im Kanton Solothurn, im Oberaargau oder betreffend Bürobauten in der Region Zürich Nord um. Im Pflichtenheft der Architekten, der Ordnung 102 des SIA, gibt es immerhin unter anderem Punkte wie «Analysieren der Problemstellung und Bedürfnisse», «Überprüfen und Klären der Projektziele und Rahmenbedingungen», «Abklären der standortbezogenen Rahmenbedingungen» oder «Rentabilitätsberechnungen» und «Ermitteln der Wirtschaftlichkeit». Aufgaben also, die verhindern sollen, dass Unnützliches und Leere entstehen. Nur: Der Anreiz, einem Auftraggeber abzuraten zu bauen oder nicht zu gross zu bauen, ist nicht wirklich gross. Wer hat nicht lieber ein volles Portemonnaie als dort einen Leerstand.
Die Realität braucht Fachleute, die verhindern können, dass Probleme gebaut werden.
Das richtige Wissen ist essenziell
Ausschliesslich den Architekten den schwarzen Peter für Leerstände zuzuschieben, wäre zu kurz gegriffen. Und damit kommen wir von der Leere zur Lehre. Mit Ernüchterung muss der einfache Bewerter nach Konsultation der aktuellen Bachelor- und Master-Studienpläne für Architektur der ETH Zürich feststellen, dass sich diese insbesondere in einem Punkt nicht verändert haben, seit er dort vor etwa fünfzig Jahren die Schulbank drückte. In diesen heiligen Hallen der Lehre sind zwar haufenweise Vorlesungen und Übungen in Entwurf und Konstruieren, Architektur und Kunst, Baugeschichte, Architekturgeschichte und -theorie, Städtebau, Geschichte des Städtebaus, Soziologie, Landschaftsarchitektur und Ähnliches zu besuchen. In keinem einzigen Fach gibt es jedoch den geringsten Hinweis, was zu tun ist, damit ein Gebäude nützlich wird und dadurch nicht leer steht. Das wäre für Architekten essenziell. Die Lehre scheint sich um Leere einen Scheiss zu kümmern und doziert lieber über «Methoden der Stadtforschung» oder «Konstruktionsgeschichte und Bauforschung». Das systematische Nachdenken darüber, welche Nutzungen in Bauten wo, in welchem Kontext und in welchem Umfang wirtschaftlich sinnvoll werden, also nützlich sind und kaum leer stehen werden, saugen Architekten nicht an der Mutterbrust ein. Dieses Know-how ist zu lernen und daher auch zu lehren. Und wo, wenn nicht in einem Studium? Schöngeistige Künstlertypen nützen dem Bauherrn, dem Investor, der Wirtschaft einen alten Hut, auch wenn sie mit einem Diplom der besten europäischen Hochschule wedeln. Die Realität braucht Fachleute, die verhindern können, dass Probleme gebaut werden.
Die Lehre scheint sich um Leere einen Scheiss zu kümmern.
Bald ein Lehrstuhl zur Leerstandsverhinderung?
Den Studierenden der Architekturabteilung ständen somit zwei Wege offen, wollen diese sich nicht zu den Leerstandsgeneratoren gesellen. Entweder holen sie dieses eminent wichtige Wissen dort, wo es in einer Ausbildung bereits behandelt wird. Ein Absolvent einer anständigen Ausbildung zum Immobilienbewerter (nein, wir nennen keine Namen!) macht sich auf jeden Fall deutlich mehr Überlegungen dazu, wie Chancen und Risiken bezüglich Vollvermietung und Leerstand je Nutzung aussehen und sich zukünftig entwickeln könnten, wenn er ein Gebäude oder eine Überbauung bewertet. Den angehenden Architekten und Architektinnen ist diese Thematik typischerweise piepegal. Leider. Werden sie allenfalls auch als Bewerter tätig, bringen sie dann zwar etwas mit, das vielen Bewertern ohne baulichen Hintergrund abgeht: ein doch sehr fundiertes Verständnis für das Gebäude, folglich also für Fragen der Entwertung oder für jene des baulichen Potenzials, wie das etwa für die «highest and best use»-Bewertungen essenziell ist.
Zum Entweder gehört das Oder. Also: Oder die Archi-Studis gehen auf die Barrikaden: Es muss ein Lehrstuhl zur Leerstandsverhinderung her, ho, ho, ho, subito!
Martin Frei
MSc ETH in Architektur / SIA, MAS ETH in Management, Technology and Economics / BWI, Zürich