Wann fühlen Sie sich unsicher? 

Larissa von Olnhausen: Es gibt viele Situationen, bei denen ich auf den Erfahrungsschatz meiner Kollegen angewiesen bin: Wie geht man auf die Bedürfnisse der Mieter bei einer bevorstehenden Sanierung am besten ein, um Einsprachen zu verhindern? Wie ticken Schlichtungsstellen, zum Beispiel Zürich versus Chur? Wo liegt die optimale Marktmiete bei Neuvermietung? Dies, um ein paar Beispiele zu nennen. 

Jonas Laternser: Ich fühle mich zum Beispiel unsicher, wenn einem bei einer Besichtigung auffällt, dass die Gebäudetechnik dem eigenen Wissensstand wieder mal einen Schritt voraus ist.

Wird man mit Erfahrung sicherer?

Jonas Laternser: Auf jeden Fall. Routine hilft, dass man sattelfester wird.

Larissa von Olnhausen: Ich sehe das genauso. Mit jeder weiteren Sanierung oder Immobilienbewertung eignet man sich mehr Wissen an und lernt die re­gionalen Besonderheiten immer besser kennen. Am Anfang ist die Lern­kurve sehr steil – positiv formuliert …

Ist Unbeschwertheit ein Vorteil der Unerfahrenheit?

Jonas Laternser: Insgesamt hat Unerfahrenheit meiner Meinung nach nur wenige Vorteile … vielleicht jenen, dass man in Herangehensweise und Überlegungen noch nicht festgefahren ist.

Larissa von Olnhausen: Als Neuling in der Branche hat man den Junior-Bonus; da sind auch «dumme Fragen» erlaubt. Grössere Projekte diskutiere ich bewusst mit einem zweiten Portfolio-Manager, um sicher zu gehen, dass ich an alles gedacht habe und meine Argumente hieb- und stichfest sind. Es macht Spass zu sehen, wie man von einem Mal zum anderen Neues dazu lernt und immer besser wird.

Insgesamt hat Unerfahrenheit meiner Meinung nach nur wenige Vorteile.

Was sehen junge Bewerter anders?

Jonas Laternser: Je nach Ausbildung wurde eine Methode so oder anders vermittelt; das kann in der Praxis zu anderen Ansichten führen. 

Larissa von Olnhausen: Auf den Beruf bezogen, wird die reine Immobilienbewertung langsam aussterben oder nur noch als Nebendienstleistung angeboten werden – etwa zum Hausverkauf dazu. Viele Einfamilienhäuser und Stockwerkeigentum werden in Zukunft wohl per Knopfdruck mit wenig Aufwand bewertet und nicht mehr klassisch mit Vor-Ort-Besichtigung begutachtet. Behaupten kann sich in Zukunft wohl nur noch, wer über ein breiteres Fachwissen wie Architektur, Geologie oder Planungsrecht verfügt und damit dem Kunden einen wirklichen Mehrwert bieten kann.

Bewerten Sie anders als ältere Kollegen?

Larissa von Olnhausen: In unserem Team gehen die Meinungen bisweilen tatsächlich auseinander …

Jonas Laternser: Ich bin der Meinung, dass das  Alter für einen Bewerter nicht so entscheidend ist. Die grössten Unterschiede bezüglich Herangehensweisen oder Ansichten sehe ich in Herkunft und Werdegang wie auch in der Aktualität des Wissenstandes.

In der Immobilienbewertung haben viele Respekt vor der künstlichen Intelligenz

Was fällt Ihnen bei älteren Bewertern auf?

Jonas Laternser: Das sind Erfahrung, Routine und Gelassenheit auf der einen Seite und potenziell festgefahrene Herangehensweisen auf der anderen.

Larissa von Olnhausen: Auffallend ist, dass bei älteren Kollegen die Layouts der Berichte fast durchgehend altmodisch sind und sie gerne noch per Post anstatt digital versendet werden.

Wovor haben Sie Angst oder Respekt?

Jonas Laternser: Angst ist für mich das falsche Wort. Respekt hingegen gehört zu allem dazu. In der Immobilienbewertung haben wohl sehr viele Respekt vor der künstlichen Intelligenz, deren Einfluss immer stärker wird, und den Angeboten, die sich daraus entwickeln.

Larissa von Olnhausen: Mir bereiten die zunehmenden politischen Vorstösse für bezahlbares Wohnen Sorgen. Wenn sich der Staat zu viel einmischt und die Mieten kontrollieren möchte, führt dies dazu, dass notwendige Renovationen lediglich aufgeschoben werden – zu Lasten der Mieter.

Jonas Laternser 

ist 22 Jahre alt und wohnt ihn ­Balzers im Fürstentum Liechtenstein. Er ist Immobilienbewerter, hat den CAS 2020 an der Fachhochschule St. Gallen abgeschlossen und arbeitet in der familieneigenen BEWERA AG von Vaduz aus vor allem im Fürstentum Liechtenstein, in der Ostschweiz und im Kanton Schwyz. 

Larissa von Olnhausen 

ist 32 Jahre alt und wohnt in Basel. Sie arbeitet als Portfoliomanagerin Immobilien bei der Baloise Asset Management AG und schliesst den CAS Immobilienbewertung, den sie an der FHNW in Muttenz absolviert, dieses Jahr ab. Bereits in ihrem Masterstudium an der Universität Freiburg in Accounting, Control & Finance befasste sie sich mit Real Estate Finance.