Der Markt für Mietwohnungen unterliegt vielerorts in Europa Regulierungen.
Gibt es auch gegenteilige Beispiele?
Christian Kraft: Irland ist ein aktuelles Beispiel. Dort existieren sozusagen keine Regulierungen auf dem Mietwohnungsmarkt. Da das Land eine sehr hohe Wohneigentumsquote hat, ist der Markt für Mietwohnungen traditionell sehr klein. Als Vermieter können Sie dort die Verträge sowie den Mietzins frei gestalten und es existiert auch kaum ein Kündigungsschutz.
Und funktioniert das Modell?
Über lange Zeit hat sich der Markt gut selbst reguliert, weil sich Nachfrage und Angebot die Waage hielten. Das ist jetzt vor allem in Dublin nicht mehr der Fall. Da die Stadt heute als Wohnort attraktiv ist, suchen aktuell viele Leute eine Mietwohnung. Diese hohe Nachfrage bei einem viel zu kleinen Angebot hat zu einer grossen Wohnungsnot geführt. Und weil es keine Regulierungen gibt und das Angebot viel zu klein ist, sind die Mieten in die Höhe geschossen und Leute mit kleinem Einkommen werden aus bisher zahlbaren Wohnungen verdrängt, um einer zahlungskräftigeren Mieterschaft Platz zu machen.
Wo steht der Schweizer Mietwohnungsmarkt im europäischen Vergleich?
Die Regulierungen sind im gesamteuropäischen Vergleich nicht unbedingt stärker als anderswo, aber wir haben ein spezielles System.
Sie sprechen den Referenzzinssatz an?
Genau – vielerorts sind Wohnungsmieten in Europa mindestens teilweise indexiert. Da und dort gibt es aber zusätzliche Regulierungen und Abweichungen. Schweden beispielsweise erlaubt keine Indexierung. Mieten werden dort in jährlichen Tarifverträgen zwischen Mietern und Vermietern ausgehandelt. Der Referenzzinssatz als Basis in Kombination mit nur teilweiser Überwälzung der Teuerung und der allgemeinen Kostensteigerung auf die Mieten stellt in der Tat eine Schweizer Besonderheit dar. Speziell im Vergleich mit anderen Ländern ist auch der grosse Unterschied bei den Regeln zwischen Bestandswohnungen und neu erstellten, bei denen hierzulande beispielsweise die Höhe der Rendite begrenzt wird.
Macht denn das System mit dem Referenzzinssatz überhaupt Sinn?
Eigentlich schon, weil er die Kapitalkosten der Eigentümerschaft in die Ausgestaltung der Mietzinsen mit einbezieht. Verändern sich die Kosten am Hypothekarmarkt, werden auch die Mieten angepasst. Interessant ist, dass uns diese Regulierung in den letzten zwei Jahren geholfen hat, den Markt trotz massiv gestiegener Kapitalkosten zu stabilisieren. Dank dem Referenzzinssatz konnten die Mieten relativ stark angehoben werden. Durch diese höheren Einnahmen wurde verhindert, dass Liegenschaften stärker abgewertet werden mussten aufgrund höherer Diskontierungssätze durch die gestiegenen Kapitalzinsen.
Gut zwei Drittel der Menschen hierzulande leben in einer Mietwohnung und sind auf zahlbare Mieten angewiesen. Haben Regulierungen deshalb eine besondere Wichtigkeit?
Ich bin fest überzeugt, dass es für den Schweizer Mietwohnungsmarkt einen regulatorischen Rahmen braucht – nicht zuletzt auch wegen der hohen Zahl an Mietern. Dieser Rahmen muss aber so gestaltet sein, dass der Markt funktioniert und die Eigentümerschaft eine vernünftige Rendite erzielen kann, um ihr Risiko abzufedern. Das ist wichtig, weil sich 88 Prozent aller Mietwohnungen in der Schweiz im Eigentum von Privaten oder institutionellen Investoren befindet. Ist deren Rendite zu tief oder ihr Risiko zu hoch, entstehen nicht nur keine neuen Wohnungen mehr, sondern es werden auch die Investitionen in den Bestand auf ein Minimum hinuntergefahren.
Wie sollte denn ein gescheiter regulatorischer Rahmen aussehen?
Grundsätzlich braucht es ein durchdachtes und verlässliches Regelwerk, das von den Akteuren antizipiert werden kann. Vor allem die Verlässlichkeit ist sehr wichtig. Denn wenn jemand in den Mietwohnungsbau investiert, legt er seine Kalkulationen auf einen Zeitrahmen von 20 bis 40 Jahren aus. Sehen Investorinnen oder Investoren die Gefahr, dass die Regeln schon nach wenigen Jahren zu ihren Ungunsten geändert werden könnten, müssen sie dieses Risiko von Beginn weg einpreisen, was wiederum die Mieten verteuert oder neue Wohnungen verhindert.
Die neuen Bestimmungen für den Mieterschutz in Basel dürften eine solche vergleichsweise kurzfristige Änderung der Regeln sein?
Die dortigen Regelungen gehen in diese Richtung. Sie sind auch ein Beispiel für regulatorische Massnahmen, die spezifisch als Lösung für ein gerade latentes Problem und ohne Sicht auf das Ganze ergriffen werden. Nicht selten ergeben sich dadurch ungewollte Folgen. Wenn man durch scharfe regulatorische Massnahmen bestehende Mietverhältnisse stark schützt, kann es etwa passieren, dass sich institutionelle Anleger oder private Immobilienbesitzer aus dem Markt zurückziehen, weil sie nicht mehr wissen, ob sie mittel- bis langfristig mit den Mieteinnahmen zurechtkommen. Zudem kann der starke Schutz von Bestandsmieten dazu führen, dass der Markt komplett einfriert. Mieterinnen und Mieter verharren dann in ihren vergleichsweise günstigen Wohnungen, weil sie nach einem Umzug mehr Miete bezahlen würden. Die Folge: Auf dem Markt finden sich fast nur noch wesentlich teurere Neubauwohnungen.
Könnte dieses Szenario in Basel aufgrund der neuen Regulierungen Realität werden?
Ja. Dort werden Menschen, die ihre Wohnung wechseln müssen oder erstmals eine Wohnung mieten wollen, künftig fast nur Angebote auf dem vergleichsweise viel teureren Neuwohnungsmarkt finden. Ihnen nützt dann die Schutzregelung für die 70 oder 80 Prozent der Mieterinnen und Mieter in den bestehenden Wohnungen überhaupt nichts. Verschärft wird dieses Problem zusätzlich, weil hierzulande jährlich nur rund ein Prozent des Wohnungsbestands durch Neubauten hinzukommt. Unter dem Strich führen solche Regulierungen zu einem gesellschaftlichen Ungleichgewicht und es ist schlicht nicht fair, dass diejenigen, die in die neuen, teureren Wohnungen ziehen müssen, indirekt für diejenigen mitbezahlen, die dank der Regulierungen von vergleichsweise preiswerten Altbauwohnungen profitieren.
Es gibt aktuell schon zahlreiche Regulierungen, die Einfluss auf den Mietwohnungsbau haben. Weitere könnten dazukommen. Besteht ein Risiko, das Fuder zu überladen?
In der Tat kumulieren sich im Mietwohnungsbau zahlreiche Regulierungen aus verschiedensten Bereichen des Rechts. Künftig könnten nur schon im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes zahlreiche weitere hinzukommen – etwa die Besteuerung der Grauen Energie oder Vorgaben zur Verwendung gebrauchter Bauteile. Daraus ergeben sich zwei Problemfelder: Zum einen könnten die Kosten fürs Bauen oder Sanieren so weit steigen, dass diese sich mit den Mieten nicht mehr hereinholen lassen. Dann werden Investoren wohl auf andere Anlagemöglichkeiten umschwenken. Zum anderen besteht das Risiko, dass Regeln einander zuwiderlaufen.
Können Sie das an einem Beispiel illustrieren?
Gemäss Raumplanungsgesetz müssen Gemeinden künftig bis zu 40 Prozent des Mehrwerts von Grundstücken abschöpfen. Auf neu erschlossenem Land ist das sinnvoll. Die Mehrwertabgabe wird aber auch dort fällig, wo dank Aufzonungen im Rahmen der gewünschten Verdichtung aufgestockt werden darf. Das kann dazu führen, dass Hausbesitzer auf den Bau zusätzlicher Geschosse verzichten, weil die Rechnung aufgrund der Mehrwertabschöpfung finanziell nicht aufgeht. Damit bliebe die gewünschte Verdichtung auf der Strecke. Solche Beispiele zeigen, wie wichtig es ist, den Wohnungsbau nicht mit zu vielen Regulierungen zu überladen, insbesondere nicht mit solchen, die im Widerspruch zueinander stehen.

Zur Person
Christian Kraft, 47, ist Professor am Institut für Finanzdienstleistungen der Hochschule Luzern (HSLU) und leitet dort das Kompetenzzentrum Immobilien. Kraft hat in Konstanz (D) sowie Limerick (Irland) studiert und promoviert und war vor seiner Ernennung an der HSLU unter anderem zehn Jahre lang in leitenden Funktionen in der Schweizer Bau- und Immobilienbranche tätig. Zu seinen fachlichen Schwerpunkten zählen Geschäftsmodelle der Bau- und Immobilienbranche sowie direkte und nachhaltige Immobilieninvestitionen.