Hochspannung herrschte am 19. Juni 2025 beim Pressetermin am Hauptsitz der Schweizerischen Nationalbank (SNB) in Zürich: Auf welcher Höhe würde das Gremium im Rahmen der vierteljährlichen geldpolitischen Lagebeurteilung den Leitzins festlegen? Ein Minus von 0,25 stand im Vorfeld ebenso zur Diskussion wie ein Nullzins. Für Letzteren entschied sich die SNB unter Leitung von Bankpräsident Martin Schlegel schliesslich. «Die von uns erwarteten Abwärtsrisiken sind eingetreten und wir müssen darauf reagieren», sagte Schlegel. Gründe für den Entscheid waren unter anderem die schon seit Längerem schwache und seit Mai 2025 mit einem Minus von 0,1 Prozent leicht negative Inflation sowie die Stärke des Frankens gegenüber wichtigen Leitwährungen. Mit dem Nullzins möchte die Bank für Preisstabilität sorgen.
Hausaufgaben gemacht
Mit viel Spannung erwartet wurde der Entscheid auch in der Immobilienbranche. Denn die Erfahrungen aus der Negativzinsphase zwischen 2015 und 2022 haben gezeigt: Weil übliche risikoarme Anlagemöglichkeiten, wie etwa Bundesobligationen, bei einem solchen Zinsumfeld nichts oder kaum mehr etwas abwerfen, konzentrieren sich Anleger verstärkt auf Immobilien. Die steigende Nachfrage treibt die Preise nach oben. Zusätzlich befeuert werden sie, weil in der Folge des tiefen Leitzinses auch die Diskontierungssätze sinken und dadurch der Wert bestehender Immobilienportfolios steigt.
Die Ausgangslage zeigt sich seit dem 19. Juni also ein Stück weit ähnlich wie 2015 – doch werden die Folgen für den Immobilienmarkt und für die Bewertung dieselben sein wie während der Negativzinsphase? Gibt es wieder einen Wechsel ins Betongold? Was passiert mit den Diskontierungssätzen tatsächlich? Zoom hat sich bei Fachleuten am Markt umgehört.
«Wer finanziellen Spielraum hat
und passende Objekte findet, wird investieren.»
Matthias Geissbühler, Raiffeisen
Überraschend war der Entscheid der SNB für die Experten bei Banken, Versicherungen und Bewertungsunternehmen nicht. «Der Schritt war aus unserer Sicht logisch», sagt Patrick von Planta, Head Portfolio Management Real Estate bei Helvetia Versicherungen. Ähnlich sehen das auch Matthias Geissbühler, Anlagechef bei Raiffeisen, und Ronny Haase, Partner bei Wüest Partner. Positiv war für Geissbühler von der Raiffeisen aber von SNB-Präsident Schlegel zu hören, dass er Minuszinsen wenn immer möglich vermeiden möchte. Bezüglich der Auswirkungen auf den Immobilienmarkt sieht Geissbühler klare Unterschiede zur einstigen Negativzinsphase: «Die Akteure am Markt haben ihre Lehren aus den Jahren 2015 bis 2022 gezogen.» So hätten viele Anleger – allen voran die Pensionskassen – in den letzten Jahren ihre Immobilienportfolios ausgebaut.
Viele Pensionskassen bewegen sich nahe an der zulässigen Grenze von 30 Prozent Immobilienanteil bei ihren Anlagen. «Wir haben momentan keinen Druck, Immobilien zu kaufen, und erwerben nur Objekte, die auch langfristig unseren Qualitätsstandards bezüglich Lage, Vermietbarkeit und Ertrag entsprechen», sagt von Planta von Helvetia Versicherungen. Er geht aber davon aus, dass Immobilien aufgrund des tendenziell knappen Angebots generell teurer werden. Umgekehrt sei dies aber auch eine Chance für grosse Player wie Helvetia Versicherungen mit einem Bestand von rund 250 Liegenschaften: «Dank des steigenden Interesses haben wir die Möglichkeit, unsere Portfolios zu schärfen und Objekte, die nicht so richtig passen, zu guten Preisen zu verkaufen.» Zudem hätten institutionelle Anleger mit grösseren Portfolios auch die Möglichkeit zur inneren Entwicklung: etwa durch Ersatzneubauten, Aufstockungen, Sanierungen oder Nachverdichtungen auf bestehenden Grundstücken. Auf diese Weise könnten finanzielle Mittel in die Wertsteigerung des Portfolios investiert werden, ohne möglicherweise überteuerte Objekte erwerben zu müssen.
«Wir haben momentan keinen Druck, Immobilien zu kaufen.»
Patrick von Planta, Helvetia Versicherungen
Die angefragten Fachleute machen aber noch weitere Unterschiede zur letzten Minuszinsphase aus: So bewegen sich die Leitzinsen in den USA und im Euroraum noch immer klar im positiven Bereich, während sie damals teilweise ebenfalls im Minus waren. Dadurch ist der Druck für Kapitalverschiebungen in die Schweiz geringer.
Auch der Markt hierzulande zeigt sowohl bei den Wohn- als auch bei den Geschäftsimmobilien klare Unterschiede zum Zeitraum von 2015 bis 2022. Ein wichtiger Faktor sind die neuen Finanzierungsregeln der Banken im Rahmen von Basel III: Für den Immobilienmarkt bedeutet dies, dass Banken bei der Kreditvergabe strengere Eigenkapitalvorschriften einhalten müssen. «Dadurch kommen vor allem private Player mit einem tiefen Eigenfinanzierungsgrad aufgrund neuer Belehnungsgrenzen für Renditeliegenschaften bei Immobilienkäufen unter Druck», sagt Patrick von Planta von Helvetia Versicherungen.
Auf dem Mietwohnungsmarkt wiederum spielen Faktoren wie die teilweise eingeführten oder noch kommenden Mietzinsregulierungen, die anstehende Revision des Mietgesetzes, die Initiative zur Regulierung der Zuwanderung, kombiniert mit steigenden Angebotsmieten aufgrund des knappen Wohnungsangebots, für Wohnungsmieten eine zentrale Rolle. Bei den Gewerbe- und Büroliegenschaften ist die Lage ebenfalls unsicher: Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten spielen dabei ebenso eine Rolle wie die wechselhafte Wirtschaftspolitik der USA. «All diese Risiken wirken sich leicht dämpfend auf die zu erwartenden Renditen und damit auch auf die Nachfrage aus», sagt Ronny Haase von Wüest Partner.
Während also etwa Pensionskassen mit kühlem Kopf in die Nullzinsphase gehen, zeigt sich bei privaten Anlegern und Immobilienfonds teilweise ein etwas anderes Bild. So beobachtete Nicolas Di Maggio, CEO von Swiss Finance & Property, gemäss einem Artikel in der NZZ vom 16. Juni 2025 bereits vor dem Zinsentscheid der SNB einen grossen Zufluss von Kapital in den Immobiliensektor. «Wer finanziellen Spielraum hat und passende Objekte findet, wird investieren», ist denn auch Matthias Geissbühler von Raiffeisen überzeugt. Ein Faktor, der die Preise für einzelne Objekte zumindest an sehr guten Lagen in die Höhe treiben könnte, sodass sie ein Stück über dem in einer Bewertung ermittelten Wert liegen. Der Grund ist klar: Es gibt derzeit für Anleger, die langfristig Sicherheit in festverzinslichen Wertpapieren gesucht hatten, kaum eine Alternative zum Kauf von Immobilien oder Anteilen an Immobilienfonds – hier zeigt sich eine klare Parallele zur Minuszinsphase von 2015 bis 2022. «Real Estate is back», bringt es Patrick von Planta von Helvetia Versicherungen auf den Punkt.
«Wir haben
derzeit eine sehr volatile und spannende Situation.»
Ronny Haase, Wüest Partner
Etwas anders sieht die Situation für die Bewertung bestehender Immobilienportfolios aus. «Wir gehen davon aus, dass sich die Diskontierungssätze nur leicht nach unten bewegen werden», sagt Ronny Haase von Wüest Partner. Entsprechend dürften auch die Aufwertungsgewinne im Rahmen bleiben. Grund dafür seien wiederum die unsicheren Aussichten auf der Ertragsseite sowohl bei Wohn- als auch bei Gewerbe- und Büroliegenschaften, sagt Haase. «Daraus ergeben sich teilweise hohe Risikoaufschläge, die sich dämpfend auf die Diskontierung auswirken.» Raiffeisen-Anlagechef Matthias Geissbühler schätzt die Situation ähnlich ein: «Die Diskontierungssätze werden im aktuellen Umfeld keinen riesigen Einfluss auf die bestehenden Portfolios haben.»
Wie lange durch den Zinsentscheid der SNB der erhöhte Druck auf den Immobilienmarkt anhalten wird, ist unklar. «Wir haben derzeit eine sehr volatile und spannende Situation», sagt Haase von Wüest Partner. Die Nullzinsphase könnte aber auch schon bald wieder vorbei sein: Denn die Nationalbank erwartet bereits bis Ende dieses Jahres einen Anstieg der Inflation auf 0,2 Prozent, die sich bis 2027 auf 0,7 Prozent erhöhen soll. Damit wäre zumindest ein wichtiger Faktor gegeben, der eine Anpassung des Leitzinses nach oben zulassen würde.
Die mit einem Minus von 0,1 Prozent leicht negative Inflation im Mai 2025 sowie die Stärke des Frankens gegenüber wichtigen Leitwährungen: Sie waren ausschlaggebend für den Nullzinsentscheid der Schweizerischen Nationalbank.

