Die Coronapandemie ist das prägende Ereignis der jüngeren Zeit. Doch ­Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff hebt eine andere Grösse hervor, die für die internationale Wirtschaftsentwicklung das seit Jahren zentrale Extrem sei: «Die Null- und Negativzins­politik und die damit verbundene Flutung der Finanzmärkte mit Liquidität.» Diese Entwicklung habe sich durch die weltweite Ausschüttung staatlicher Gelder in der Krise und die dadurch steigende Verschuldung verstärkt. «Im Moment sieht es so aus, als seien die Zinsen für Generationen auf null festgenagelt», sagt Neff.

Das wegen Corona gezündete «Feuerwerk staatlicher Gelder», wie der Ökonom und Topbanker es nennt, habe aber auch dazu geführt, dass die schwerste Rezession der Nachkriegszeit ungewöhnlich schnell abgeklungen sei. «Nach drei bis vier Monaten Krise im Frühjahr 2020 war bereits eine Erholung beobachtbar. Danach wuchs die Nachfrage plötzlich schnell.» Eine Folge davon waren Preissteigerungen und eine starke Inflation: Im Juni 2021 meldeten die USA beispielsweise ein Wachstum der Inflation um 5,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – ein Zuwachs, der zuletzt 2008 erreicht wurde. Neff schätzt, dass dieser «Reboundeffekt» sich abschwächen werde, weil weltweite Produk­tionen wieder hochgefahren und Liefer­ketten abgestimmt werden. «Die Preise werden sich bis Ende 2021 einpendeln, für 2022 erwarte ich tiefere Inflationsraten.»

Daten und Zahlen statt ­Meinungen

Die Preise für Wohneigentum allerdings werden weiter steigen, sagt Neff, der für Raiffeisen regelmässig den Schweizer Immobilienmarkt analysiert. Die Pandemie habe den Immobilienmarkt in der Schweiz nicht beschädigt. Vielmehr haben die Preise für Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser erneut Höchststände erreicht, wie die Bank im Frühsommer 2021 zu ihrer Publikation «Immobilien Schweiz» schreibt. «Die Preise werden noch einige Jahre steigen, auch im Bereich Anlagenobjekte», sagt Neff.

Für Immobilienbewerter könne damit der Anreiz bestehen, bei Portfoliobewertungen stetig die Wertsteigerungsrendite auszuschöpfen. «Ich empfehle aber, dabei defensiv vorzugehen. Entscheidend ist die Cashflow-Rendite. Alles andere kann zur Spekula­tion werden, und das ist nicht nachhaltig.» Grundsätzlich empfiehlt Neff, sich in extremen Zeiten bei der Bewertung von wirtschaftlichen Trends oder Vermögenswerten auf «nackte Zahlen» zu verlassen. «Man sollte Einschätzungen der Fachpresse oder von Mitbewerbern nicht lesen, bevor man selber aufgrund von Daten eine fundierte Analyse gemacht hat.»

Extreme Entwicklungen zeigt wegen der Coronakrise auch der weltweite Markt für Baustoffe. «Über alle Segmente gesehen haben sich Produkte im Einkauf für uns um 10 bis 50% verteuert», sagt Martin Tobler, CEO des Schweizer Baumaterial­händlers HG Commerciale (HGC). Begonnen habe die Preissteigerung im Herbst 2020 bei den Holzwerkstoffen, seit März 2021 seien auch praktisch alle anderen Materialien wie beispielsweise Kunststoffprodukte oder Gipsplatten betroffen gewesen. «Erschwerend kommt hinzu, dass bei vielen Produkten die Verfügbarkeit nicht garantiert ist.» Die HGC als Grosshändler versuche dennoch, ihre Lager möglichst zu füllen und unterhalte dafür enge Kontakte mit ihren Lieferanten. Die Situation sei «absolut aussergewöhnlich», dennoch nicht nur schlecht. «In den vergangenen 15 Jahren sind die Preise für Baumaterialien stetig gesunken. Das hat den starken Preisdruck in der Baubranche weiter verschärft.» Diese Entwicklung sei nun gebremst, damit erhöhe sich die Wertschöpfung der Branche – auch wenn dies aktuell bei laufenden Bauprojekten eine grosse Herausforderung für die Unternehmer sei. Tobler erwartet zudem eine Normalisierung der Preise bis Ende 2021.

Im Moment sieht es so aus, als seien die Zinsen für Generationen auf null festgenagelt.

Der Kampf ums Bauland

Von der extremen Seite zeigte sich im Sommer 2021 weltweit das Klima: Nordamerika, Südeuropa und Skandinavien litten unter historischen Hitzewellen, in der Schweiz richteten wiederholte heftige Gewitter und Hochwasser Schäden in Millionenhöhe an. Diese Problematik spüren auch Raum- und Immobilienentwickler. «Der Einbezug von Klimafragen ist bei der Planung von Arealen mittlerweile ein grosses Thema. Dazu gehört etwa die Aussenraumgestaltung oder die Energieeffizienz», sagt Ueli Strauss-Gallmann. Er leitete während 17 Jahren das Amt für Raumentwicklung und Geoinformation des Kantons St. Gallen. Heute ist er selbstständiger Berater im Bereich Raum-, Gemeinde- und Immobilienentwicklung. Wie der Klimawandel bei der zukünftigen Planung und Erstellung von Immobilien berücksichtigt wird, werde einen Einfluss auf deren langfristige Nutzungsqualität und damit auch deren Wert haben, sagt er. Strauss-Gallmann berät regelmässig Gemeinden in ländlichen Gebieten. «In diesen steigt die Nachfrage nach Immobilien seit dem Frühjahr 2020 stetig an. Auch Ferienhäuser oder sogar Maien­sässe sind sehr beliebt.» In den ländlichen Gebieten sei zudem der «Kampf um jeden Quadratmeter Bauland» im vollen Gange.

Auf Extremereignisse wie den Klimawandel braucht es Reaktionen auf verschiedenen Ebenen wie beispielsweise Bau und Mobilität. Strauss-Gallmann schätzt diesbezüglich, dass die Innovation in den bestehenden, historisch gewachsenen Strukturen der Schweiz in kleinen Schritten geschehen müsse. «Das fängt im Bereich Immobilienentwicklung bei Details an – etwa der Frage, ob ein tieferer Parkplatzschlüssel pro Wohneinheit genügt. Oder mit dem konsequenten Einbezug von E-Mobilität und Langsamverkehr von Beginn an.»