«Skigebiet steht vor dem Aus – die Bahnen könnten in Braunwald nächstes Jahr stillstehen!», titelte der Blick im Oktober letzten ­Jahres. Lassen solche negativen Schlagzeilen nicht auch den lokalen Zweitwohnungsmarkt erbeben?

Daniel Steffen (DS): Quantitative Auswertungen zu diesem Thema gibt es auf Forschungsbasis kaum. Dass die Nachfrage nach Zweitwohnungen aber spürbar gedämpft wird, nur schon, wenn die Schliessung des Skigebietes droht, davon kann ausgegangen werden.

Philipp Lütolf (PL): Natürlich sind solche Schlagzeilen schlecht für einen Tourismusort. Andererseits: Die Ein­heimischen, die Immobilienbranche und langjährige Zweitwohnungsbesitzer sind von derartigen Schlagzeilen wohl wenig überrascht. Eine solche Entwicklung zeichnet sich ja schon viel früher ab. Vorgewarnt ist man meist Jahre zuvor.

Kann man also davon ausgehen, dass touristische Risiken bei den zum Verkauf stehenden Zweitwohnungen schon eingepreist sind?

DS: Zum Teil sicher. Die Dynamik wird aber gebremst, solange es noch genügend Kaufinteressenten gibt, die sich daran klammern, dass alles schon noch irgendwie gut kommt. Wenn zum Schluss dann doch der grosse Knall eintritt, sind weitere Preiskorrekturen nach unten meist unausweichlich.

Aus Sicht der Bewerter oder Kaufinteressenten: Gibt es Indizien, die aufzeigen, ob ein gefährdetes Tourismusgebiet die Negativ­entwicklung aufhalten kann?

PL: Dazu muss man wissen, dass viele Gebiete es eigentlich schon schaffen, ihre Bergbahnen kostendeckend zu betreiben. Erst wenn grössere Investitionen anstehen, kommen die Probleme. Und Geld von den Banken gibt es gerade für finanzschwache Gebiete meist zu wenig. Dann ist matchentscheidend, ob die Nutzniesser der Bahn zu entsprechenden Investitionen bereit sind. Etwa durch Crowd­funding, Aktienkapitalerhöhung oder die öffentliche Hand. Ist diese Bereitschaft da, stehen die Chancen sicher besser.

Zu den Nutzniessern gehören auch Zweitwohnungsbesitzer. Sie stünden damit eigentlich ­ebenfalls in der Pflicht …

PL: Absolut. Gerade in solchen Gebieten sind die Immobilienpreise oft etwas tiefer, weshalb ein Käufer bereit und willens sein sollte, mit dem quasi eingesparten Geld selbst Investitionen in die Infrastruktur vor Ort zu tätigen – beispielsweise durch den sporadischen Kauf von Aktien der Bergbahnen. Damit trägt man ja nicht zuletzt zur Werterhaltung der eigenen Zweitwohnung bei.

DS: Es gibt auch Gemeinden, wie etwa Bürchen im Wallis, die Lenkungsabgaben eingeführt haben, welche die Umsätze durch den Tourismus ankurbeln sollen. Wer als Auswärtiger in ­Bürchen seine Zweitwohnung weniger als 90 Tage pro Jahr vermietet, zahlt eine Sondersteuer.

Hatte das dort einen negativen Einfluss auf die Nachfrage nach Zweitwohnungen?

DS: Die konkreten Zahlen von Bürchen kenne ich nicht. Trotzdem: Wir Ökonomen finden es grundsätzlich besser, mit Lenkungsmassnahmen zu arbeiten als mit Verboten – wie etwa beim Zweitwohnungsgesetz. Lenkungsabgaben dämpfen zwar die Nachfrage, gleichzeitig kommen die Einnahmen den Einheimischen und der Infrastruktur zugute, was wiederum einen positiven Effekt auf den Tourismusort hat.
Das eingangs erwähnte Beispiel Braunwald ist ja nur eines von vielen. Aufgrund des klimabedingten Schneemangels sollen gemäss dem Newsportal Watson über 100 Schweizer Skigebiete gefährdet und damit auch deren Zweitwohnungsmarkt betroffen sein.

PL: Bei dieser Diskussion finde ich es wichtig, sich bewusst zu machen, dass es unterschiedliche Cluster gibt, die einen Einfluss haben. Bei einer Region ist es vielleicht tatsächlich die Höhenlage und die Schneesicherheit – beziehungsweise die fehlende Infrastruktur zur technischen Beschneiung. Andere Orte haben dafür eher Probleme mit den kalten Betten oder einer veralteten Hotellerie. Aber auch die zu einseitige Ausrichtung auf ein bestimmtes Herkunftsland der Gäste kann zu solchen Problemen führen.

Immer wieder wird davon gespro­chen, wie wichtig es ist, dass gerade von Schneemangel betroffene Regionen die Transformation vom Winter- zum Ganzjahrestourismus schaffen. Was braucht es dazu?

PL: Wenn wir von den kleineren Gebieten sprechen, die nicht unbedingt an internationalen Tourismusrouten liegen oder über weltbekannte touristische Wahr­zeichen verfügen, dann ist die Nähe zu den grossen Schweizer Zentren eine wichtige Voraussetzung. Und die Kreierung eines cleveren Angebots.

Ein attraktives Ausflugsziel, das nur via Bergbahn erreichbar ist: die Fünf-Seen auf dem Pizol.

Was meinen Sie mit «clever»?

PL: Die Pizolbahnen im Kanton St. Gallen oder die Stoos-Bahnen im Kanton Schwyz sind gute Beispiele. Mit ihrer 5-Seen-Wanderung beziehungsweise dem Gratwanderweg haben sie attraktive Angebote geschaffen, die nur per Bergbahn erreichbar sind und damit für Traffic und Umsatz sorgen. Gerade im Sommer, wo vieles zu Fuss oder per E-Bike erreichbar ist, haben es die Bahnen schwerer. Nicht umsonst sagt man, dass es – je nach Gebiet – bis zu vier Sommergäste braucht, um einen Wintergast zu ersetzen.

Gerade gut erreichbare Gebiete wie Pizol oder Stoos weisen einen hohen Anteil von Tagestouristen auf. Diese sind jedoch etwas ­verpönt.

DS: Nur teilweise zu Recht. Sie sorgen für Umsätze in der Gastronomie, den Dorfläden sowie bei den Bergbahnen und tragen damit zu deren Erhalt und Modernisierung bei. Die Qualität der ­Infrastruktur hat einen Einfluss auf den Zweitwohnungsmarkt. Das zeigte sich ja jüngst nach dem Zusammenschluss der Skigebiete Arosa und Lenzerheide, wo die Zweitwohnungspreise danach überdurchschnittlich gestiegen sind.

So richtig explodiert sind die Preise für Zweitwohnungen ja eigentlich erst seit der Pandemie. Wie nachhaltig ist dieser Effekt?

DS: Kurz vor der Pandemie fanden die Klimademos statt. Fliegen war verpönt, und dann kam Corona mit den Einschränkungen. Viele lernten einen ­schönen Zufluchtsort in den heimischen Bergen schätzen. Die Pandemie ist vorbei und die Fluggesellschaften verzeichnen bei den Passagierzahlen wieder Rekorde. Deshalb könnte ich mir schon vorstellen, dass der Effekt mittelfristig wieder etwas verpufft.

Konkret: Was erwarten Sie ­bezüglich der Preisentwicklung von Zweitwohnungen?

DS: Wir beobachten schon jetzt, wie die Dynamik nachlässt. Die Preise steigen zwar nach wie vor, aber vielerorts weniger ausgeprägt als in den Vorjahren. Im Berner Oberland oder im Tessin rechnen wir bereits heute mit stagnierenden Preisen, während das Wallis und Graubünden in den nächsten Jahren weiterhin dynamischer unterwegs sein dürften. Die Frage ist ausserdem, wie stark Zinssenkungen die Nachfrage wieder anheizen.

PL: Dass genau in diesen beiden Tourismuskantonen die Nachfrage nach Zweitwohnungen hoch ist und weiterhin sein wird, überrascht mich nicht. Das zeigen auch unsere Auswertungen der Geschäftszahlen der Seilbahnen. In einem schweizweit schneearmen Winter schneiden das Wallis und Graubünden trotzdem jeweils mindestens gleich gut ab wie in schneereichen Wintern. Dies, weil dort viele Skigebiete schneesicher und die Bergbahnen gut aufgestellt sind.

Zur Person

Prof. Dr. Philipp Lütolf, 49, ist Dozent und Projektleiter am Institut für  Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) der Hochschule Luzern (HSLU). Er verfügt über vertieftes Wissen zur Hotellerie- und Bergbahnbranche.

Zur Person

Prof. Dr. Daniel Steffen (36) unterrichtet und forscht am IFZ der HSLU im Bereich der Immobilienökonomie und ist dort Co-Studiengangsleiter des MSc Real Estate. Er kennt sich bestens mit dem ­Zweitwohnungsmarkt aus.