Die Diskussionen rund um Zweitwohnsitze sind in touristisch geprägten Kantonen wie dem Tessin von grossem Interesse, häufig sind sie aber auch ein leidiges Thema. Denn im Süden der Schweiz gibt es Gemeinden, in denen der Anteil der Zweitwohnsitze bis zu 80 Prozent beträgt. Dies führt zu häufigen Leerständen mit sogenannten kalten Betten, erhöhten Infrastrukturkosten und einem Mangel an Wohnraum für die ansässige Bevölkerung. Daher ist es wenig überraschend, dass die Zweitwohnungsinitiative (auch Lex Weber genannt) 2012 angenommen wurde.

Was ist ein Zweitwohnsitz?

Der Begriff «Zweitwohnsitz» ist nicht einheitlich definiert und kann je nach Rechtsgrundlage variieren. Die Definition hängt massgeblich von den je­weiligen Zielsetzungen der relevanten Gesetze ab. Grundsätzlich versteht man darunter jedoch einen Wohnsitz, der im Verhältnis zu einem Haupt- oder Erstwohnsitz eine eher ergänzende Rolle spielt. Es handelt sich um einen Ort, zu dem die betreffende Person eine weniger intensive Verbindung hat – sowohl zeitlich, in Bezug auf die Aufenthaltsdauer als auch inhaltlich, hinsichtlich persönlicher und/oder professioneller Bindungen. Oft, aber nicht zwingend, wird der Zweitwohnsitz zu Ferienzwecken genutzt. Auch steuerlich ist der Hauptwohnsitz in der Regel an einem anderen Ort registriert, sodass der Ort der (Haupt-)Besteuerung nicht mit dem Zweitwohnsitz übereinstimmt.

Das Thema hat insbesondere durch das Bundesgesetz über Zweitwohnungen an Bedeutung gewonnen. In vielen Regionen der Schweiz, insbesondere in touristisch geprägten Orten wie dem Kanton Tessin, war es jedoch bereits vorher von grosser Relevanz.

Die Regulierung von Zweitwohnsitzen, die Kriterien für deren Bewilligung sowie spezielle Vorschriften zur mengenmässigen Begrenzung in bestimmten Gebieten sind auf verschiedenen gesetzlichen Ebenen verankert. Dazu gehören insbesondere:

  • Das Bundesgesetz über die Raumplanung (Raumplanungsgesetz, RPG)
  • Das Bundesgesetz über Zweit­wohnungen (ZWG, Lex Weber)
  • Kantonale Gesetze und Veror­dnungen
  • Kommunale Bauordnungen (­Bau­reglemente) und Zonenpläne

Eine zentrale Fragestellung dabei ist, ob der zulässige Zweitwohnungsanteil in der entsprechenden Gemeinde bereits ausgeschöpft ist. Dies betrifft sowohl die im Rahmen des ZWG festgelegte 20-­Prozent-Quote als auch gegebenenfalls spezifischere Kontingente, die beispielsweise in kommunalen Baureglementen festgelegt sind. Darüber hinaus bestehen Unsicherheiten hinsichtlich der Umnutzung von Immobilien, die vor Inkrafttreten der aktuellen Regelungen errichtet wurden.

Insbesondere stellt sich die Frage, ob eine Umwandlung von Erst- in Zweitwohnsitze rechtlich zulässig ist und wie sich die rechtliche Situation in Zukunft entwickeln wird.
Aufgrund der föderalistischen Struktur der Schweiz gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher gesetzlicher Regelungen mit ihren jeweiligen Auslegungen, die von Kanton zu Kanton erheblich variieren können. Künftige Entwicklungen in der Gesetzgebung und der Gerichtspraxis werden weiterhin entscheidend für die Nutzung und den Wert von Zweitwohnsitzen sein.

Zweitwohnsitze im Kanton Tessin

Als Immobilienbewertungsexperten und Partner eines Immobilienunternehmens im Tessin sind wir täglich mit dieser Problematik konfrontiert. Der Markt für Zweitwohnsitze ist komplex und dynamisch. Die Zulassung eines Zweitwohnsitzes kann den Wert einer Immobilie erheblich beeinflussen – die Wertschwankungen reichen von 0 bis 100 Prozent, was in vielen Fällen die Verkaufsfähigkeit der Immobilie drastisch verändert und sie sogar unverkäuflich machen kann.

Erfahrungsgemäss lassen sich drei verschiedene Immobilienkategorien nennen, die hinsichtlich des Einflusses der Zweitwohnsitzmöglichkeit auf  den Marktwert unterschieden werden:

  • Immobilien, bei denen eine Zweitwohnsitzbewilligung so gut wie keinen Einfluss auf den Marktwert hat.
  • Immobilien, bei denen eine Zweitwohnsitzbewilligung einen Einfluss von etwa 10 bis 20 Prozent auf den Marktwert haben kann.
  • Immobilien, die nur mit einer ­Zweitwohnsitzbewilligung einen Wert haben.

Typisches Rustico, das normalerweise nur als Zweitwohnsitz einen grösseren Wert hat. In diesem speziellen Fall war es aber so, dass die Nutzung nur als Erstwohnsitz möglich war. Aus diesem Grund lag der Verkaufspreis viel tiefer als ursprünglich geplant.

Faktoren, die den Wert beeinflussen

Es gibt mehrere Faktoren, die bei der Bewertung von entsprechenden Immobilien entscheidend sind:

Lage: Eine der wichtigsten Ein­flussgrössen. Nur Immobilien in begehrten Ferienregionen haben das Potenzial, als Zweitwohnsitz eine hohe Wertsteigerung zu erfahren. Manche Immobilien (Häuser, Villen, Stockwerkeigentum) eignen sich besonders für Ferienzwecke, aber auch hier kommt es vor allem auf die Lage an. Das Gebäude muss sich in einer attrak­tiven Zone mit genügend Ferien­ambiente befinden. Grundstücke in Gemeinden, die weitere Zweitwohnsitze erlauben, werden zunehmend ra­rer, was zu einem Anstieg der Preise führt.

Objekt: Die Art und der Zustand der Immobilie spielen ebenfalls eine Rolle. Ein einfaches Einfamilienhaus oder eine «Standardwohnung» sind im Tessin auch für einen Erstwohnsitz geeignet und werden dementsprechend als gut verkäuflich eingestuft. Luxus­residenzen oder abgelegene Rusticos hingegen finden oft nur Liebhaber als Käufer, die bereit sind, diese als Zweitwohnsitz zu nutzen.

Marktsituation und Zeitpunkt: Auch der Zeitpunkt des Kaufs ist entscheidend. In einem schwankenden Markt kann der Wert eines Zweitwohnsitzes stark variieren. Eine Immobilie, die zu einem ungünstigen Zeitpunkt gekauft wird, kann darum weniger wert sein.

Zielgruppe: Es gibt klare Unterschiede in der Käufer­struktur: Ein Zürcher Käufer hat oft ganz andere Bedürfnisse und finanzielle Möglichkeiten als ein Tessiner. Das macht die Bewertung und den Verkauf noch komplexer.

Wie fliessen diese Faktoren in eine Schätzung ein?

  • Im Zinssatz (Immobilität, Risiko, ­Mikrolage oder als eigene Prozent­angabe). Diese Anwendung ist grundsätzlich sinnvoll, aber unserer Meinung nach zu intransparent, wenn es um den monetären Mehrwert geht.
  • Im Mietwert (Zuschlag in CHF/m2). Dafür gibt es allerdings keine nachweisbaren Daten, auf die man sich stützen könnte.
  • Als ausgewiesener Pauschalwert gemäss Erfahrung.

Aussicht auf den Lago Maggiore von einer Villa in Brione sopra Minusio, die als Zweitwohnsitz genutzt wird.

Die Methodik der Bewertung von Zweitwohnsitzen

In der Praxis beziehen sich unsere Bewertungen zu 99 Prozent auf die Ertragswertmethode, die insbesondere auch für Immobilien zur Eigennutzung verwendet wird. Wir berücksichtigen dann gegebenenfalls Zuschläge, die bis zu 20 Prozent des Ertragswertes ausmachen können, abhängig vom Objekt und der Lage. Diese Zuschläge spiegeln sich in der Wertschätzung der Immobilie wider und können in Franken beziffert werden.

Einer der Gründe, weshalb wir die Zweitwohnungsmöglichkeit nicht im Zinssatz oder im Eigenmietwert, sondern als Pauschalwert ausweisen, liegt darin, dass immer mehr Gemeinden im Tessin keine (oder keine rechtssichere) Auskunft mehr darüber geben, ob für die zu schätzende Liegenschaft eine Nutzung als Zweitwohnung möglich ist oder nicht. Oft geben die Gemeinden erst Auskunft, wenn der Eigentümer eine offizielle Baubewilligung für die Umnutzung eines Erst- in einen Zweitwohnsitz vorlegt. Diese Bewilligung ist gebührenpflichtig und je nach Gemeinde nur befristet gültig (oft nur zwei Monate) und/oder vom tatsächlichen Kauf der Liegenschaft abhängig.

Die Berechnung erfolgt durch eine detaillierte Analyse von Faktoren wie der Lage, dem Zustand der Immobilie und der Nachfrage. Unser Unternehmen verwendet dabei Vergleichswerte von etablierten Quellen wie FPRE, IAZI oder Wüst Partner, die jedoch keine spezifischen regionalen Zuschläge ausweisen. Natürlich braucht es dafür Gespür: Der Verkauf von mindestens zwei bis drei Zweitwohnungsobjekten pro Monat gibt uns ausreichend Erfahrung und unterstützt das notwendige Bauchgefühl.

In vielen Fällen besteht Unsicherheit, ob eine Immobilie in Zukunft auch als Zweitwohnsitz genutzt werden darf. In solchen Fällen ist der Pauschalzuschlag eine hilfreiche Lösung, da er die Unsicherheit hinsichtlich möglicher Wertverluste oder Wertsteigerungen berücksichtigt. Für Immobilien, bei denen die Nutzung als Erstwohnsitz keinen Sinn macht, entfällt der Zuschlag für den Zweitwohnsitz.

Beispiel einer Zweitwohnsitzbewertung

Für dieses Beispiel nehmen wir ein kleines Einfamilienhaus mit einer Wohn­fläche von 150 m2, das einen Mietwert von CHF 50’000 erzielt:

Pauschalzuschläge als Lösung

Der Markt für Zweitwohnsitze im Tessin bleibt weiterhin ein vielschichtiges und von starken Schwankungen geprägtes Terrain. Eine präzise Bewertung ist von entscheidender Bedeutung, um sowohl rechtliche Unsicherheiten zu vermeiden als auch den tatsächlichen Wert einer Immobilie bestmöglich zu bestimmen. Dank unserer bewährten Methodik sind wir in der Lage, potenziellen Käufern und Verkäufern zu helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen und den bestmöglichen Preis zu erzielen. Bei der Bewertung ermitteln wir grundsätzlich den Marktwert auf Basis eines Erstwohnsitzes und nehmen pauschale Zuschläge vor, wenn eine Zweitwohnsitzbewilligung vorliegt.

Stefano Specht

Partner bei Immobiliare SL SA in Locarno, ­Master of Science in Business Administration, CAS in Real Estate Valuation, Vizepräsident SIV, Verbandsmitglied SIV, SVIT und VAS-AEC

Stefano Lappe

Partner bei Immobiliare SL SA in Locarno, ­Master in Real Estate Management, Verbandsmitglied SIV, SVIT, CSEA und VAS-AEC