160
Unternehmen
befragt

56%
haben Fragezeichen

Die Digitalisierung verändert die Immobilienwelt grundlegend: In der Schweizer Immobilienbranche gehen laut einer aktuellen EY-Studie praktisch alle 160 befragten Unternehmen davon aus, dass sich die digitale Transformation in den nächsten fünf Jahren mittel bis stark auf sie auswirken wird.¹ Gleichzeitig besteht bei 56 Prozent dieser Immobilienunternehmen Unkenntnis darüber, wie digitale Technologien im aktuellen Geschäftsmodell eingesetzt werden sollen. In diesem Feld, das von Veränderung und Unsicherheit geprägt ist, arbeitet Beat Seger. Er ist seit Anfang 2019 Chief ­Digital Officer (CDO) bei KPMG Schweiz – eine Position, die es laut der erwähnten Studie nur in sechs Prozent der Schweizer Immobilienunternehmen überhaupt gibt. «Als CDO erarbeite ich mit der Geschäftsleitung eine digitale Strategie und gestalte darauf aufbauend unseren Transformationsprozess», sagt Seger. Ein CDO sei für Firmen in der Grösse von KPMG Schweiz – das Unternehmen beschäftigt hierzulande rund 2100 Mitarbeitende – hilfreich, um die verschiedenen Digitalisierungsprojekte zu bündeln und in Einklang mit der Geschäftsstrategie zu bringen. Seger arbeitet neben seinem CDO-Pensum von 50 Prozent weiter im Alltagsgeschäft. «Ich will als Stratege den Kontakt zur Basis nicht verlieren.» 

Der Mensch füllt ­Datenlücken auf

Im Bereich der Immobilienbewertung sei der digitale Umbruch schon weit fortgeschritten – «zumindest für Re­gionen und Immobilien, für die Daten in genügend grosser Menge verfügbar sind». Das gelte etwa für Wohneinheiten und teilweise Mehrfamilienhäuser in dicht besiedelten Regionen, bei deren Bewertung die automatisierte Anwendung von hedonischen Modellen Standard sei. «Grundsätzlich ist die ­Datenlage in der Schweiz aber noch immer schwierig und uneinheitlich», sagt Seger. Das erschwere die automatisierte Bewertung. «Da kommt der Mensch ins Spiel. Er recherchiert und füllt Datenlücken auf.» Seger sagt, er sei darum ein Verfechter von Open Data für alle Teilnehmer des Immobi­lienmarktes. «Ich gehe davon aus, dass in den nächsten Jahren den Marktteilnehmern über Plattformen deutlich mehr Daten zur Verfügung stehen werden als heute. Dazu wird auch der Druck des Transak­tionsmarktes beitragen: Nur Immobi­lien, deren vollständige Daten digitalisiert sind, sind sichtbare Immobilien.» Derart geschaffene Transparenz würde den Bewertungsprozess «entscheidend verändern». Die Kombination von Informationen etwa aus dem Servicemarkt, dem Kapitalmarkt, dem Baumarkt, dem Bestand, der Wirtschaft und Bereichen wie Geografie, Demografie, Verkehr oder Umwelt werde den Einsatz prädiktiver Modelle erlauben. Seger: «Diese sind nicht nur tagesaktuell, sondern wohl auch akkurater als eine kognitiv gefärbte Schätzung.» Allerdings sei momentan noch offen, ob die Marktakteure diese Transparenz goutieren und ob die Aktualität der Wertinformationen im eher statischen Immobi­lienmarkt Mehrwert generiert. 

Beherrschen der Datenflut ist Herausforderung

Für einen «kollaborativen Umgang mit Daten» spricht sich auch Patrick Schnorf von Wüest Partner aus. Er erwähnt als Beispiel die Vision einer Swiss Real Estate Ledger. Bei dieser Blockchain-Anwendung steht die gemeinsame Nutzung von Daten rund um Liegenschaften im Zentrum. Die Idee: Über eine Plattform könnten Marktteilnehmer wie etwa Investoren, Architekten, Bauunternehmen, Behörden, Banken und Mieter gemeinsam Daten zu Liegenschaften dokumentieren. Dank Blockchain-Technologie wären dabei der Schutz und die Vertraulichkeit der Daten gewährleistet, während gleichzeitig mehr Daten für die Analyse zur Verfügung stehen würden. «Davon würden alle Akteure im Immobilienmarkt profitieren», sagt Schnorf. 

Mit der digitalisierten Bewertung von Immobilien beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren auch Stefan Fahrländer, CEO von Fahrländer Partner Raumentwicklung. Er hat 2005 zum Thema «Hedonische Methoden in der Immobilienbewertung» doktoriert und ist heute zudem Dozent am ­Center for Urban & Real Estate Management ­(CUREM) der Universität Zürich. «Dank der Digitalisierung und der grösseren verfügbaren Datenmenge sind Bewertungen konsistenter und auch objek­tiver geworden. Früher hatten die Annahmen von einzelnen Personen in Schätzungen viel Gewicht, das ist heute weniger der Fall», sagt Fahrländer. Dennoch brauche es den Menschen weiterhin in der Bewertung, betont er. «Der Mensch bringt Faktoren ein, die von Algorithmen heute noch nicht berücksichtigt werden.» Dabei gehe es etwa um baurechtliche Fragestellungen oder um langfristige Planungen. Hinzu komme, dass «Eigenschaften wie Aussicht oder Besonnung einer Wohnung nicht wirklich maschinell beurteilt werden können. Dies zumindest heute nicht», schreibt Fahrländer in einem aktuellen wissenschaftlichen Beitrag zum Thema.² Er erwarte im Bereich der Datenverfügbarkeit in den kommenden Jahren keinen grossen Durchbruch, sagt Fahrländer auf Nachfrage. «Wenn überhaupt, dann werden Datenbanken mit anonymisierten Daten entstehen.» In seinem wissenschaftlichen Beitrag schreibt Fahrländer weiter, es gehe heute gar nicht unbedingt darum, mehr Daten zur Verfügung zu haben – vielmehr sei das «Beherrschen, Analysieren und Interpretieren der verfügbaren Datenflut die Herausforderung.» 

  1.  EY Real Estate Schweiz. ­«Digitalisierungs­studie Immobilienbranche Schweiz». April 2019.
  2.  Stefan Fahrländer: «Transformation von ­Datenanalyse und Immobilienbewertung». In: Transformation Real Estate. Change­prozesse
       in Unternehmen und für Immobilien. Springer, 2019.