Daniel Güntzel

52, Inhaber Güntzel Immobilientreuhand GmbH, Romanshorn

«In der Region Thurgau Ost und Nord, in der ich als Bewerter ausschliesslich tätig bin, gehören Leerstände vorwiegend im Anlagebereich, aber auch bei Gewerbe-/Industrieimmobilien seit jeher dazu. Der in den vergangenen zehn Jahren hinzugekommene Aufschwung im Anlagebereich hat mittlerweile zu einem Überangebot an Miet- und Geschäftsflächen und damit auch zu einem erhöhten Mietzinsrisiko in dieser Region geführt. Leerstände berücksichtige ich auf der Ertragsebene bei den genannten Immobilienarten von Anfang an. Je nach Art oder Durchmischung der Immobilie gehe ich von längeren oder kürzeren Leerstanddauern aus. Primär überprüfe ich regelmässig die regionalen Marktverhältnisse. Dies geschieht vor Ort sowie über Ausschreibungen vergleichbarer Angebote auf einschlägigen Internetplattformen. Ergänzend beziehe ich Leerstandstatistiken des Kantons sowie Standort- und Marktanalysen verschiedener nationaler Markterhebungsunternehmungen in die Bewertung ein. Ich profitiere zudem von meiner langjährigen lokalen Tätigkeit und der daraus resultierenden Vernetzung in den verschiedensten Bereichen der Immobilienbranche. Methodisch richte ich mich nach den Standards des SVS (Swiss Valuation Standard). Damit gemeint sind die drei Basismethoden Ertrags-, Sach- und Vergleichswertmethode. Je nach Art der Immobilie verwende ich die meiner Meinung und Erfahrung nach geeignetste Methode.

Meiner Ansicht nach ist eine der grössten Herausforderungen für Bewerter derzeit die richtige Einschätzung der Immobilienmarktverhältnisse. Oft wird auf die vielseitig vorhandenen Markterhebungsdaten abgestützt. Diese sind zwar aus dem Bewerteralltag nicht mehr wegzudenken und werden immer besser. Meiner Erfahrung nach sind sie jedoch nicht in allen Markt­gebieten gleich gut anwendbar. Grundlegend ist daher für mich, ausschliesslich in einer begrenzten Region tätig zu sein, von der ich überzeugt bin, den Markt und die Tendenzen auch wirklich zu kennen.

Leerstandziffern beeinflussen häufig die Werte aller Kategorien, was aber nicht pauschalisiert anzusehen ist. Je geringer der Leerstand, desto interessanter und oftmals wertvoller zeigt sich eine Immobilie. Trotzdem bedeuten geringe Leerstände im Anlagebereich nicht zwangsläufig gute Mietwerte, was wiederum eine Rolle spielt. Es spielen deshalb viele Faktoren mit, die es nebst den Leerstandrisiken zu berücksichtigen gilt. Bei Konsumobjekten ist die Leerstandziffer ein Indiz für die im Markt stehenden Angebote. Leer stehende Eigentumswohnungen oder Einfamilienhäuser deuten auf einen übersättigten oder preislich überhöhten Markt hin, was sich zwangsläufig in deren Werten niederschlägt.»

Andreas Pfister

39, Geschäftsführer Max Pfister Baubüro AG, St. Gallen

«Bewertungskorrekturen aufgrund von Leerständen bzw. drohenden Leerständen werden in nächster Zeit vermehrt vorgenommen werden müssen. Aufgrund der grossen Neubautätigkeit und der stark ver­minderten Zuwanderung werden schlecht unterhaltene Altbau-Liegenschaften vermehrt unter Druck kommen: Fehlende Personenauf­züge, zu kleine und zu wenige Nasszellen, Ringhörigkeit, schlechte Grundrisse usw. werden eine Wiedervermietung nach dem Auszug langjähriger Mieter schwieriger machen. Dies gilt es meines Erachtens in Zukunft bei Bewertungen stärker zu berücksichtigen. Aktuelle Beispiele zeigen, dass im Moment (aufgrund fehlender Anlagealternativen) für alte Renditeliegenschaften sehr hohe (beziehungweise wahrscheinlich zu hohe) Preise bezahlt werden. In vielen Fällen werden Leerstand­risiken mitgekauft, welche beim Kaufpreis aber nicht berücksichtigt werden. Wichtig erscheint mir ebenfalls, dass bei der Einschätzung des Leerstandrisikos nicht nur die Lage eines Gebäudes, sondern auch Alter und Zustand berücksichtigt ­werden.

Gemäss Andreas Pfister müssen in nächster Zeit vermehrt Bewertungskorrekturen aufgrund von Leer­ständen bzw. drohenden Leerständen vorgenommen werden.

Beat Seger

53, Partner, Real Estate Advisory und Chief Digital Officer, KPMG Schweiz

«Der Leerstand ist primär eine temporäre oder auch länger dauernde, strukturelle Ertragsminderung, deren Beurteilung immer individuell in Bezug auf die spezifische Liegenschaft vorgenommen wird. Er ist dabei einer von vielen Faktoren, die in die Immobilien­bewertung einfliessen. Für Immobilienbewerter gilt es in Zeiten von steigenden Leerstandziffern im Mietwohnungsbereich eine adäquate Einschätzung des Risikos zu machen und eine entsprechende Prognose vorzunehmen. Bei jeder Liegenschaft gibt es einen strukturellen Sockelleerstand aufgrund der normalen Fluktuation sowie einen spezifischen Leerstand beim Ablauf von befristeten Mietverhältnissen. Hier wird, je nach Nutzung, eine Absorp­tionszeit von drei bis neun Monaten berücksichtigt – Tendenz, in Abhängigkeit der Liegenschaftskategorie, eher steigend.

Da ein Leerstand primär eine Ertragsminderung ist, würden wir diese auch als solche berücksichtigen, also den Cashflow reduzieren. Grundlage hierfür bildet eine holistische Betrachtung der Einflussfaktoren (z. B. Bestand, Produktion, Nachfrage, Kapitalmarkt) des spezifischen Marktes und des Marktsegments. Aufgrund unseres Kundenstamms arbeiten wir meistens mit der DCF-Methode, da diese in Bezug auf Transparenz und Darstellung der Überlegungen wesentliche Vorteile hat. Alternativ kommen andere Bewertungsmethoden zur Anwendung – dies in Abhängigkeit der Auftragsdefinition und des Bewertungsziels.»

Marie Seiler

39, Head Real Estate Advisory, PwC Schweiz

«Steigende strukturelle Leerstände sind aktuell im Mietwohnungsmarkt und bei Verkaufsflächen zu beobachten. Liegenschaften, die in den betroffenen Regionen und Teilmärkten liegen und sich nicht positiv abheben, werden tendenziell mit einer höheren Leerstandsannahme bewertet. Oft führen höhere strukturelle Leerstände zudem zu höheren Absorptionszeiten, die in den Bewertungen ebenfalls abgebildet werden sollten. Für einen Immobi­lien­bewerter ist es wichtig zu verstehen, weshalb Leerstände bei einem Objekt auftreten: Ist es die rege Bautätigkeit, die sinkende Nachfrage, eine ökonomische Verschlechterung einer Region? Oder sind es objektspezifische Gründe? Der Bewerter braucht ein vertieftes Verständnis für die Entwicklung in verschiedenen Regionen und die zu bewertende Liegenschaft. Eine wichtige Herausforderung ist die Datenverfügbarkeit. Diese kann für bestimmte Regionen und Nutzungen unzureichend sein. Oft hat eine bedeutsame Veränderung von strukturellen Leerständen auch Einfluss auf das Mietzinsniveau und Investorenverhalten. Dies gilt es bei Immobilienbewertungen zu bedenken. Inwiefern eine Leerstandziffer in einer Immobilienbewertung abgebildet wird, hängt auch vom zu bewertenden Objekt bzw. von der angewandten Methode ab. Renditeobjekte in der institutionellen Immobilienwelt werden heute fast ausnahmslos mittels DCF-Methode bewertet. Die Marktwerte von Wohneigentum hingegen bestimmt man meist mithilfe von statistischen bzw. hedonischen Modellen oder Vergleichswertmethoden. In hedonischen Modellen werden Leerstände oft als einer der relevanten Parameter in der multiplen Regression gewichtet und entsprechend ins Bewertungsergebnis einbezogen. In DCF-Modellen werden für strukturelle Leerstände Mietzinsausfälle explizit modelliert. Um für eine Bewertung ein ganzheitliches Bild zu bekommen, sollen möglichst verschiedene Quellen konsultiert werden. Wir stützen uns ab auf Kennzahlen wie etwa die BfS-Leerstandziffer, die Angebotsziffer von privatwirtschaftlichen Anbietern sowie spezifische Tools zur Bemessung der Nachfrage durch die Auswertung von Suchprofilen.»