20
Jahre hedonische Methode
2019
Und wo steht BIM?
Hedonismus definiert im wirtschaftlichen Verständnis ein Konzept, bei dem jede Aktivität nach höchstmöglicher Befriedigung mit der kleinstmöglichen Anstrengung strebt. Messbar werden diese, indem man sie vergleicht. Seit jeher vergleichen wir Sachgüter und Objekte mit konkurrenzierenden.
Was früher noch aufwändig und zeitintensiv war, ist heute ein Kinderspiel, denn eine unermessliche Fülle an Daten steht uns zur Verfügung. Wir besuchen Online-Vergleichsportale, die mithilfe unzähliger Algorithmen die gesuchten Angebote sekundenschnell abrufen und vergleichbar aufbereiten. Bei Immobilien funktioniert dies nur bedingt, denn Immobilien sind trotz gleicher Bedingungen und auf Grundlage vergleichbarer Daten nicht identisch, sondern lediglich ähnlich. Das sorgt immer für gewisse Schwankungen von Angebot und Nachfrage auf dem Markt.
In der Immobilienbewertung fungiert die hedonische Methode als Vergleichswertverfahren seit über 20 Jahren. Dabei wird eine Liegenschaft mit Tausenden von gehandelten Objekten verglichen und statistisch wird der Preis ermittelt, den vergleichbare Objekte an vergleichbarer Lage in einem definierten Zeitraum erzielt haben. Auch Banken und Finanzinstitute nutzen hedonische Methoden zu Vergleichszwecken ihrer enormen Daten. Diese Informationen sind jedoch zu einem grossen Teil wirtschaftlicher Natur.
Die Immobilien werden in Vermögensklassen zusammengefasst, die sich in den Mietmarkt (Wohnungen oder Gewerbeobjekte) und den Eigentumsmarkt (EFH- und Eigentumswohnungen) unterteilen. Die Marktwerte und Transaktionspreise der Immobilien unterliegen dem wirtschaftlichen Wettbewerb und passen sich durch Vergleiche mit ähnlichen Objekten laufend den aktuellen Marktsituationen an. Die statistische Verarbeitung erfasster Informationen macht ausserdem Entwicklungstrends von Immobilienwerten sichtbar. So erlauben Interpretationen aktueller Informationen Banken und Finanzinstituten, ihre Finanzierungsleistungen in Form von Wertkorrekturen oder Zinssatzänderungen anzupassen oder gar bestimmte Nutzungsbedingungen ihrer Dienstleistungen zu verschärfen, falls diese Informationen auf eine drohende Spekulationsblase hinweisen. Für Immobilienakteure bieten solche Informationen eine Beobachtungsmöglichkeit von Wertschwankungen eigener oder potenzieller Immobilien in Echtzeit. Sie zeigen in relativ zuverlässiger Weise auf, wie sich der Wert der Immobilien auf dem Markt verhält.
Und was mit den Besonderheiten?
Banken und Finanzinstitute nutzen die hedonische Methode auf makroökonomischer Ebene, sind jedoch noch nicht in der Lage, die mikroökonomischen Besonderheiten zu ermitteln und zu messen. Diese beeinflussen den Wert einer Immobilie ebenso stark. Es sind Themen wie: Haben Kücheneinrichtungen zweier vergleichbarer Wohnungen denselben Wert? Hat eine Wohnung mit Nordausrichtung Vorteile gegenüber einer Wohnung mit Südausrichtung? Bietet ein dreieckiges Grundstück mit gleicher Fläche wie ein rechteckiges Grundstück bei gleichen sonstigen Voraussetzungen dieselben Baumöglichkeiten? Algorithmen und künstliche Intelligenz werden früher oder später in der Lage sein, Antworten auf diese Fragen zu finden. Aktuell beschränkt sich die Methode darauf, über Trends zu informieren, ohne dabei die Eigenheiten, die den Wert einer Immobilie positiv oder negativ beeinflussen, herauszuschälen.
Immobilienbewertungsportale definieren die hedonische Methode im Allgemeinen als «Bewertungsmethode aufgrund von Vergleichen, die jedem Akteur der Immobilienwirtschaft gestattet, den Marktpreis einer Wohnung, eines Einfamilienhauses oder einer Renditeliegenschaft präzise, schnell und einfach zu ermitteln». Schnell und einfach sind sie zweifelsohne. Aber präzise? Wie kann ein Eigenheimbesitzer die Fragen, die ihm auf diesen Plattformen gestellt werden, gewissenhaft beantworten, wenn sich schon bei der Ermittlung der Nutzfläche seiner Wohnung die verschiedenen Marktakteure nicht einig sind? Geschweige denn den Instandhaltungszustand seines Hauses besonnen einschätzen, wenn er keine Fachkenntnisse besitzt? Doch genau solche Parameter, die sich aber oft aus dem direkten Umfeld der betroffenen Person und deren Immobilie erschliessen, gelten als wichtige Eckdaten in der Wertermittlung einer Immobilie.
Wichtige Daten fliessen nicht ein
Diese fehlenden ermittelten Daten hängen im Wesentlichen mit einer genauen Untersuchung des Instandhaltungszustands von Immobilien und mit den im Grundbuch eingetragenen Bodenrechten zusammen. Diese sind rechtsverbindlich und können zu beträchtlichen Schwankungen des Immobilienwerts führen. Das Wegrecht zugunsten des Nachbarn beispielsweise, wenn sich der Weg über eine grosse Fläche quer durch unseren Garten zieht. Es beeinträchtigt nicht nur einen Teil unserer Privatsphäre, sondern auch die Nutzbarkeit des Rechts, auf dem eigenen Grundstück zu bauen – was sich wiederum auf den Wert und Vergleichbarkeit der Immobilie auswirkt. Anders ausgedrückt: Das Haus des Nachbarn, das sich letztes Jahr gut verkaufen liess, ist nicht in jeder Hinsicht vergleichbar mit dem eigenen und hat auch nicht denselben Wert.
Die fehlenden ermittelten Daten, die von unseren öffentlich-rechtlichen Vorschriften abhängig sind, beeinflussen unsere Rechtsvorschriften auch im Städtebau, der aufgrund wachsender Mobilität und Verdichtungskonzepten in ständiger Veränderung ist. So wird niemand über das Inkrafttreten des neuen «Bundesgesetzes über die Raumplanung (RPG)» hinwegsehen können. Es fordert von jeder Gemeinde die Überarbeitung ihrer Flächennutzungspläne. In etlichen Gemeinden führen diese Überarbeitungen zu einer Verzögerung von privaten Genehmigungsanträgen für Verdichtungskonzepte, welche die kantonalen Instanzen vorgeben. Inwiefern macht es Sinn, eine Fläche mit geringer Bebauungsdichte in eine Fläche mit hoher Bebauungsdichte zu ändern – oder umgekehrt? Stehen bestehende oder geplante Bauten überhaupt noch im Einklang mit dieser neuen Raumplanung?
Die Praxis, wie bestimmte Plattformen sich auf die Vergleichbarkeit von Werten stützen, wirkt sich auf die Anzahl und Art der erfassten Transaktionen aus. Je mehr Transaktionen erfasst sind, desto klarer repräsentieren diese Werte einen Markt. Davon profitieren vor allem die Ballungsräume mit ihrer hohen Nachfrage. Wie aber sieht es in den ländlichen Regionen aus? Kann die geringe Anzahl an Transaktionen den Marktwert einer Immobilie realistisch und sinngemäss rechtfertigen? Wäre die Neugliederung der Erfassung dieser Transaktionen in der Umgebung eines regionalen Wirtschaftszentrums geeignet, eine Steigerung oder Reduktion des Marktwertes einer Immobilie auszulösen? Viele Fragen, auf die die Antworten fehlen. Auch diejenige, inwiefern man sich im Rahmen einer Transaktion wirklich auf die Stichhaltigkeit aller Faktoren verlassen kann.
Die vollständige Übertragung der Methode funktioniert nicht
Der Einsatz der hedonischen Methoden für makroökonomische Bewertungen durch Banken und Finanzinstitute führt zu verlässlichen Indikatoren, um Schwächen in der Methode zu erkennen. Eine Übertragung der Methode auf die mikroökonomische Bewertung von Immobilien jedoch funktioniert nicht ohne Fehler. Sie funktioniert für die Bewertung von Eigentumswohnungen in grossen Ballungszentren mit etlichen vergleichbaren Daten und Merkmalen, aber nur teilweise für Wohnbauten mit laufend ändernden Bauvorschriften. Dasselbe gilt für die Bewertung von Renditeliegenschaften, die eine vielschichtige Betrachtungsweise erfordern. Dazu braucht es Experten, die auf der Grundlage vergleichbarer Kennziffern, wie sie von unseren Rechnungslegungsstandards anerkannt werden, arbeiten. Auf jeden Fall erfordert die Immobilienbewertung mithilfe hedonischer Methoden zweifellos gewisse Anpassungen, um einen wahrheitsgetreuen Wert anzustreben – zumindest für diejenigen, die zur Anwendung der geltenden Bewertungsnormen oder -standards (IVS/SVS, IFRS/IAS und Swiss GAAP RPC) verpflichtet sind.
Ist BIM die Lösung?
Eine Normalisierung aller Immobilienwerte im grossen Stil erscheint wenig wahrscheinlich. Es sei denn, man einigt sich darauf, jegliche Anomalien auszumerzen, indem alle Wohnungen nach demselben vordefinierten Modell erstellt werden. Wir sind uns einig, dass dieser Einheitsbrei im Wohnungsbau eine wenig erstrebenswerte Lösung ist. Eine Alternative jedoch findet mehr und mehr Anhänger – das Building Information Modelling, kurz BIM. Es erfasst alle technischen oder wirtschaftlichen Daten einer Immobilie über ihren Lebenszyklus. Angenommen, BIM würde nicht nur bei Neubauten eingesetzt, sondern auch bei allen bestehenden Bauten – was für eine strahlende Zukunft für Bewertungsplattformen, die auf all diese Daten Zugriff hätten. Wie rosig aber erscheint diese Zukunft für das kundige Schätzerauge? Es bleibt also offen, ob digitale Lösungen in der Bereitstellung und Vergleichbarkeit von Immobilienwerten in der Lage sind, die feinen Nuancen herauszuschälen, die jede Immobilie einzigartig machen
Jean-Charles Nemeth
Jean-Charles Nemeth ist Mitglied der Schweizerischen Kammer der Experten in Immobilienbewertungen und Geschäftsführer der Patrimoine Conseils SA mit Sitz in Lausanne.