Steigende Preise, Anpassung der Gesetzeslage oder Konkurrenz für den Erstwohnungsmarkt – die schweizweit rund 500’000 Zweitwohnungen sind in den Medien ein Dauerbrenner. Ein Thema sind sie auch für Bewerterinnen und Bewerter, stellen sich doch rund um die Schätzung von Feriendomizilen einige spezielle Fragen: Wie unterscheidet sich etwa die Bewertung von Erst- und Zweitwohnungen? Beeinflussen sich die Märkte gegenseitig? Auf welche Daten stützen sich Bewerterinnen und Bewerter? Und welchen Einfluss haben weltweite Vermietungsplattformen – Stichwort Airbnb – auf den relativ jungen Zweitwohnungsmarkt in städtischen Tourismusdestinationen?
Gespräche mit Fachpersonen in verschiedenen touristischen Regionen zeigen: Bei der Schätzung von Zweitwohnungen variieren der Zugang zur Aufgabe und die Methodik je nach Region und touristischem Markt stark. Zudem ist – wesentlich stärker als etwa bei Standardobjekten im Mittelland – das Wissen der Fachleute zu den lokalen Immobilienpreisen von hoher Wichtigkeit.
Beispiel Oberengadin
Ein typisches Beispiel für den Zweitwohnungsmarkt im alpinen Umfeld ist das
Oberengadin mit St.Moritz als Zentrum. Hier interessieren sich Mailänder aus der
Oberschicht ebenso für eine Wohnung wie vor der Pensionierung stehende zahlungskräftige Schweizer, die ihren Wohnsitz ins Oberengadin verlegen möchten – etwa, um vom tiefen Bündner Steuersatz auf Pensionskassengelder zu profitieren.
«Von wenigen Ausnahmen abgesehen gehen wir bei der Bewertung generell vom Preislevel von Zweitwohnungen aus», sagt Marius Hauenstein, Mitinhaber von Tuena Hauenstein Architekten und Bewerter in St.Moritz. Ausnahmen sind etwa Wohnungen, die aufgrund ihrer Lage keinen Anklang bei Auswärtigen finden, oder solche, die nur an Einheimische vergeben werden dürfen. Andry Niggli von Niggli und Zala Immobilien in St.Moritz stellt hingegen teilweise markante Unterschiede zwischen Erst- und Zweitwohnungen fest: «Je nach Makrooder Mikrolage sind Differenzen von 30 oder 40 Prozent möglich. Eine Annäherung der Preise bei Erst- und Zweitwohnungen sei eher im Topsegment und an Toplagen erkennbar.
«Es braucht oft manuelle Korrekturen am Resultat.»
Marius Hauenstein, Tuena Hauenstein Architekten, St.Moritz
Wenn Andry Niggli Wohnungen und Häuser in St.Moritz schätzt, nutzt er in der Regel die Sachwertmethode. Dabei zeigen sich zwei Spezialitäten: Erstens sind viele Zweitwohnsitze besser ausgestattet als Erstwohnungen, daher resultiert meist schon ein vergleichsweise höherer Wert fürs Gebäude. Zweitens greift Niggli beim Landwert gerne auf eigene Statistiken zurück: «Da der Handel mit Liegenschaften bei uns einen hohen Stellenwert hat, kennen wir die aktuellen Preise gut, haben Einblick in Transaktionsdaten und sehen die Details – etwa Flächen – dahinter.» Architekt Hauenstein wiederum nutzt für die Bewertung von Zweitwohnsitzen auch hedonische Modelle, die auf dem St.Moritzer Immobilienmarkt aber an ihre Grenzen stossen: «Mit dem zusätzlichen Wissen über die lokalen Preise braucht es oft manuelle Korrekturen am Resultat.»
Bewirtschaftete Zweitwohnungen
In den Bündner Feriendestinationen müssen sich die Bewerterinnen und Bewerter aber nicht nur mit hochpreisigen Objekten auseinandersetzen, sondern vermehrt auch mit bewirtschafteten Zweitwohnungen. Da die meisten Ferienorte gemäss den Vorgaben des Zweitwohnungsgesetzes schon einen zu hohen Anteil solcher Wohnungen haben, dürfen neben Erstwohnungen fast nur noch touristisch bewirtschaftete Zweitwohnungen gebaut werden, die das ganze Jahr über (mit Ausnahme der Eigenbelegung) professionell vermietet werden. «Diese Modelle mit Vermietungspflicht kennen wir an einigen Standorten schon seit Jahrzehnten, trotzdem sind sie aber für die Bewertung noch immer ein spezielles Gebiet», sagt Antonio Federico MRICS, Inhaber von Federico Immobilien in Chur.
Früher habe man bei bewirtschafteten Wohnungen bei der Bewertung als Faustregel den Preis einen Drittel tiefer angesetzt als bei frei nutzbaren Zweitwohnungen. Heute brauche es für dieses Marktsegment hingegen oft sehr individuelle Schätzungen: «Solche Objekte sind ein Hybridprodukt – weder kann man sie klassisch nach der Sachwertmethode oder mit hedonischen Modellen bewerten noch mit der Ertragswertmethode», sagt Federico. Oft bleibe nichts anderes übrig, als sich mit der Nutzung verschiedener Bewertungsmethoden sowie unter Einbezug der eigenen Erfahrung ans Resultat heranzutasten.
Beispiel Tessin
Bewirtschaftete Wohnungen sind im Tessin kaum ein Thema, und auch sonst präsentiert sich die Situation bei den Zweitwohnungen anders als im stark vom Wintersport geprägten Graubünden: Hier läuft die Saison vornehmlich von März bis Oktober. Die touristische Attraktivität hängt zudem nicht von einem einzelnen USP ab, wie etwa einem Skigebiet, und dem Zweitwohnungs- steht auch ein grosser Erstwohnungsmarkt gegenüber. Während zum Beispiel in Locarno grösstenteils Erstwohnungen gehandelt werden, ist es im benachbarten Ascona gerade umgekehrt. Andere Gemeinden wiederum sind für beide Märkte interessant. «Vor einer Bewertung müssen wir das Objekt deshalb immer zuerst dem richtigen Markt zuordnen», sagt Stefano Specht, Inhaber von Immobiliare SL in Locarno. Dabei unterscheidet der Bewerter zwischen drei Märkten: Klassischen Zweitwohnungen, die baurechtlich als solche bewilligt wurden mit Bewilligung, Erstwohnungen und solchen, die sowohl als auch genutzt werden können.
«Die Preisdifferenz macht im Tessin 10 bis 20 Prozent aus.»
Stefano Specht, Immobiliare SL
«Die Preisdifferenz zwischen Erst- und Zweitwohnungen macht erfahrungsgemäss rund zehn bis zwanzig Prozent aus», sagt Specht. An Lagen, die bei der zahlungskräftigen Kundschaft aus der Deutschschweiz oder aus Deutschland besonders gefragt sind, kann der Unterschied aber auch höher liegen. Eine Tessiner Spezialität ist, dass innerhalb eines Gebäudes identische Wohnungen unterschiedliche Preise haben können – je nachdem, ob sie als Erst- oder Zweitwohnung gelten. «In der Regel bewerte ich Objekte als Erstwohnsitze und schlage dann – wenn eine Nutzung als Zweitwohnung möglich ist – aufgrund meiner Kenntnisse des Marktes einen entsprechenden Prozentsatz obendrauf», erklärt Bewerter Specht sein Vorgehen bei Schätzungen.
Wie wichtig die Klassierung nach Erst- oder Zweitwohnung ist, zeigt sich bei seiner Tätigkeit vor allem dort, wo Objekte in den letzten Jahren umgezont wurden: «Wenn ein Rustico neu in einer Zone steht, in der nur noch Erstwohnungen zulässig sind, kann die Werteinbusse bei einem Wiederverkauf rasch einmal einen Drittel ausmachen.»
Auch in Städten ein Thema
Während Zweitwohnungen und ihre Auswirkungen auf den lokalen Immobilienmarkt in Tourismusregionen wie den Alpen oder dem Tessin schon lange heiss diskutiert werden, ist das Thema in den grösseren Städten erst in den letzten Jahren aufgetaucht. Treiber sind hier Plattformen wie Airbnb oder Booking.com, die ein kurzzeitiges Vermieten von Wohnungen einfach machen. In touristisch stark gefragten Gemeinden wie Interlaken oder Luzern hat die zunehmende Zahl von online vermieteten Wohnungen bereits den Ruf nach Restriktionen laut werden lassen. So ist in der Stadt Luzern seit dem 1. Januar 2025 ein Gesetz in Kraft, das bei vielen Wohnungen die Vermietung an Touristen auf 90 Tage pro Jahr beschränkt.
Erhebungen zeigen aber, dass zumindest in Luzern das gefühlte Unbehagen grösser ist als die Realität: Gemäss Angaben der Stadt macht der Anteil kurzzeitig vermieteter Wohnungen weniger als ein Prozent aus. Für die Luzerner Bewerterinnen und Bewerter sind sie aber trotzdem ein Thema: «Die hohen Tages- oder Wochenmietpreise lassen auf den ersten Blick vermuten, dass die Erträge und damit auch der Wert solcher Objekte wesentlich höher liegen könnten als bei Erstwohnungen», sagt Moritz Meyer, stellvertretender Bereichsleiter Bewertungen bei der Arlewo in Luzern. In der Realität stünden den hohen Erträgen aber auch saisonale Leerstände sowie der Aufwand für Vermietung, Reinigung und Unterhalt gegenüber. «Ob es sich am Schluss rechnet, ist daher jeweils genau zu prüfen», sagt Bewerter Meyer. «Vor allem beim Schätzen von gemischten Wohn- und Geschäftshäusern, wo eine Kurzzeitvermietung von Wohnungen ein Thema sein könnte, zeigen wir im Dossier deshalb verschiedene Szenarien und den daraus resultierenden Wert der Liegenschaft auf», sagt Meyer.
GESETZLICHE GRUNDLAGEN
Detaillierte Infos zum Bundesgesetz über Zweitwohnungen (ZWG, Lex Weber), seine Auswirkungen seit der Inkraftsetzung 2016 und zu den neuen Bestimmungen, die seit dem 1. Oktober 2024 gelten (Lex Candinas), finden Sie auf der Website des Bundesamts für Raumentwicklung ARE:

2016 zum «schönsten Dorf der Schweiz» gewählt und nur zwölf Kilometer von Lugano entfernt, ist Morcote eine beliebte Feriendestination. Der Zweitwohnungsanteil beträgt hier 59 Prozent.