3.8
Kilometer lange Umfahrung

200 Mio.
Franken

Thomas Döbeli steht mit dem Reporter von Zoom vor ­einem Wohnblock in Bütschwil im mittleren Toggenburg. Der erfahrene Immobilien-Schätzer spricht laut, weil gleich nebenan ein Lastwagen auf der neuen Umfahrungsstrasse vorbeibraust. «Diese Liegenschaft verliert als eine von wenigen durch die Umfahrungsstrasse an Wert.» Die Umfahrung Bütschwil ist rund 3,8 Kilometer lang. Knapp die Hälfte der Strecke führt durch einen Tunnel. Die Kosten: 200 Millionen Franken. Seit ein paar Monaten ist die Umfahrung offen. Sie wirkt sich bereits positiv auf die allgemeine Entwicklung des Dorfes aus. Die Hauptstrasse im Dorfzentrum wurde bislang täglich von rund 17 000 Autos befahren. Heute herrscht mitten im Dorf schon fast gespenstische Ruhe. «In der Kernzone des Dorfes gibt es nun fast keinen Durchgangsverkehr mehr. Sie ist dadurch zur bevorzugten Wohnlage geworden.» Das sagt der Investor Urban Koller. Seiner Familie gehört mitten im Dorf eine 8000 m² grosse Parzelle Land. Nun bauen ­Kollers hier eine Überbauung mit 45 Wohnungen. 

Gewinner und Verlierer

Die Entwicklung im Dorf Bütschwil ist typisch. Durch eine Umfahrungsstrasse werden bisher laute Lagen im Zentrum aufgewertet. Die Familie Koller profitiert von dieser Entwicklung. Für Geschäftsliegenschaften im Dorfkern hingegen ist der Verkehr nichts Schlechtes, denn Autos bringen Frequenz. Ladengeschäfte verlieren an Wert, wenn weniger Leute vorbeifahren und für einen Einkauf anhalten. Für Bäckereien oder Tankstellen mit ihren Shops an der Hauptstrasse wird es richtig schwierig, wenn der Grossteil des Transitverkehrs auf die Umfahrungsstrasse ausweicht. Giovanni Fari, Pächter einer Tankstelle am Ortsteingang von Wattwil, sieht der Eröffnung der zweiten Etappe der Umfahrung im Herbst 2022 mit Sorge entgegen. Er befürchtet Umsatzeinbussen von ­einem Drittel. «Vor allem das Geschäft mit Wanderern und Ski­touristen auf dem Weg ins Obertoggenburg und zurück wird wohl wegfallen.» Heute beschäftigt Giovanni Fari an seiner Tankstelle elf Angestellte. Mit der Eröffnung des neuen Umfahrungsabschnittes werden wohl einige dieser Jobs verloren gehen. Noch wird an der Umfahrung Wattwil gebaut. 124 Millionen Franken investiert der Kanton St.Gallen hier. 

Von der schnelleren Erreichbarkeit dürfte bald eine Mehrheit der Unternehmen im Tal profitieren. Zum Beispiel die Morga AG, die in Ebnat-Kappel natürliche Lebensmittel produziert und vertreibt. «Unsere Mitarbeiter aus der Re­gion Wil werden sicher 15 Minuten pro Arbeitsweg ein­sparen», sagt Morga-Chef Ruedi Lieberherr. Die Morga AG beschäftigt 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Besonders Kader-­Leute reisen von auswärts an. Lieberherr sagt: «Wir werden für diese Leute als Arbeitgeber dank den Umfahrungsstrassen klar attraktiver.» 

Lagen, die vorher zu laut waren, sind plötzlich top.

Bisher schlechte Lagen nicht unterschätzen

Thomas Döbeli bestätigt den Eindruck des Morga-Chefs Ruedi Lieberherr. Als Niederlassungsleiter der Immobilienfirma Zoller und Partner AG verfolgt er die Entwicklung auf dem Toggenburger Liegenschaftsmarkt seit Jahren genau. «Von der schnelleren Strassenverbindung profitieren Industrie und Gewerbe generell», sagt Thomas Döbeli. «Zum einen finden sich leichter Mitarbeiter, zum anderen ist die direkte Anbindung an die Autobahn in  Wil auch für  Warentransporte ein grosses Plus.»

Den grossen Vorteil sieht Döbeli in der Entwicklung der Wohn-Immobilien. Gemeinden wie Nesslau, Ebnat-­Kappel, Wattwil, Lichtensteig oder Bütschwil würden als Wohnorte attraktiver. Für viele Interessierte zählten diese Orte neu zur erweiterten Region Wil. Der lokale Experte beobachtet: «Das Preisniveau für Häuser und Wohnungen hat in den vergangenen Jahren merklich angezogen.»

Goldgräberstimmung im ­Toggenburg

Im mittleren Toggenburg sind viele Lagen, die vor dem Bau der Umfahrungsstrasse Bütschwil zum Wohnen zu laut waren, plötzlich gefragt. ­Thomas ­Döbeli zeigt dem Zoom-Reporter ein Beispiel. Im Dorf Dietfurt entstehen 40 neue Wohnungen an der alten Land­strasse. «Fast alle Eigentums-Wohnungen und Miet-Mehrfamilienhäuser sind schon verkauft», sagt er und ergänzt: «Wohl auch, weil der Preis hier stimmt. Eine 4½-Zimmer-Attika-Wohnung kostet hier 820 000 Franken.» Der Blick aus der künftigen Stube der Attika-Wohnung über die Toggenburger Hügel ist reizvoll. Und in der Ferne verschwindet die neue Umfahrungsstrasse in ­einem Tunnel.

Thomas Döbeli

Thomas Döbeli ist eidg. dipl. Immobilien-Treuhänder und Bewertungsexperte SVIT mit eidg. FA. Er ist langjähriger Niederlassungsleiter der Zoller Partner AG in Wattwil. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Wil SG und rund 25 Mitarbeitenden ist in der Bewirtschaftung, Bewertung und Vermarktung von Immobilien tätig.