Irrtum, sprach schon der Hase. Aber nicht nur er. Gleich viermal Irrtum spricht Francesco Canonica. Und dazu schleudert er wie ein Zeus im Bewerterolymp seine Blitze gegen die ­Titanen am Bundesgericht und wettert über deren und gleich noch die vorinstanz­lichen Irrtümer. Es braucht um ­Canonica eine gute Hinterbliebenenrente, wer sich an Gerichten zu arbeiten traut. ­Womit hat das Bundesgericht seinen Zorn erregt?

Canonica, man muss es anerkennen, kennt sich aus im Schätzertum. Jahrzehntelang hat er sich bemüht, die letzten und schwierigsten Fragen in geschmeidig formulierten Theorien zu einem glänzenden, harmonischen Universum zu vereinen. Zu dieser Art von Fragen sind wohl die Baurechte zu zählen.

Scheinbar gottgegebene ­Summenregel

Zu den Baurechtsfragen hat ­Canonica den Begriff «Summenregel» beigesteuert. In ihr wird das Axiom aufgestellt, der Verkehrswert des belasteten Grundstücks und der Verkehrswert des Baurechts müssten als Summe dem Wert des unbelasteten Grundstücks entsprechen. Wäre dies eine wirklich allgemeingültige und mithin beweisbare Regel, müsste sie selbstverständlich bei jedem Baurecht gültig sein. Dem ist aber nicht so. Zwar stellt ­Canonica ­seine Summenregel in seinem hier zu lesenden Zoom-Beitrag (siehe Seite  36) einmal mehr als gottgegeben dar. Aber schon in seinem Buch «Die Bewertung von Baurecht, Nutzniessung und Wohnrecht» (Stämpfli Verlag, 2016) ist ihm nämlich aufgebrochen, dass diese Summen­regel keinesfalls allgemeingültig ist. Er hält also daher in seinem Buch fest, dass «bei ‹unfairen› Vertragsbestimmungen, vor allem betreffend der Anpassung des Baurechtszinses … im Verlauf der Zeit Verzerrungen entstehen … können, die für eine der beiden Parteien untragbare Zustände schaffen …» (S. 129). Von solchen als «untragbare» bezeichneten Zuständen können bereits Praktikanten im Schätzerwesen erzählen. Und das ist auch nicht erstaunlich. Baurechtsverträge werden für eine Dauer von bis zu hundert Jahren abgeschlossen, und es ist daher unvermeidlich, dass sich der Lauf der Dinge, wie er bei Vertragsabschluss abzusehen war, nicht so entwickelt, wie vermutet. Und schon sind wir mitten in «Verzerrungen» und «untragbaren Zuständen». Solche dürften, bei Lichte betrachtet, häufiger anzutreffen sein als nicht, wenn die Baurechtsverträge einige Jahrzehnte gelaufen sind.

Die Summenregel mag stimmig sein in Canonicas theoretischer Immobilienwelt der Harmonie. Aber Realität ist, dass es dort in der Regel eher zugeht wie in der Wildnis. Diese Summenregel ist ein Fehlzünder der Bewertungsevolution.

Nun zu Irrtum 1

Wider alles, was in den hier von Canonica abgekanzelten Gerichtsentscheiden zu lesen ist, nutzt er jede Gelegenheit, unbeirrt sein Fachwissen zu predigen. Steter Tropfen höhlt den Stein. Denn ist die Weiche bei der Rechtsprechung und Urteilsfindung einmal gestellt – nämlich, dass hier das Baurecht aussen vor zu bleiben hat oder sich die Sachlage «mithin ohne Baurecht», wie letztlich das Bundesgericht schreibt, – läuft der Prozess entsprechend auf diesem Geleise, und Canonica kann lange die rote Lampe schwingen und schimpfen. Der Zug ist abgefahren. Das ist eigentlich einfach zu verstehen.

Canonica verfällt einem Anfängerfehler. Rechtsfragen sind Sache der Gerichte, der Gutachter ist für Sachfragen zuständig.

Irrtum 2

Canonica hätte gut daran getan, den Entscheid der Vorinstanz nicht nur anzusehen, sondern in seiner Philippika auch zu beachten. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich sagt zum ­canonicanischen «Jedermannswert», zu prüfen sei nicht, was ein unbeteiligter Dritter für das baurechtsbelastete Grundstück zahlen würde, sondern, was ein unbeteiligter Dritter als Baurechtsnehmer bezahlen würde. Das ist hier der kleine Unterschied.

Irrtum 3

Canonica hat den Entscheid der Vorinstanz wohl sorgfältig gelesen. Aber offenbar will er nicht darauf eingehen, dass der Gerichtsgutachter eben explizit nach dem Wert des unbebauten Landes gefragt wird. Das hat, wie ebenfalls aus sorgfältigem Lesen des Entscheides des Verwaltungsgerichts hervorgeht, seine Gründe: «Was sodann die Bewertungsmethode betrifft, legt der Experte nachvollziehbar dar, dass bei der Lageklassemethode aufgrund der tiefen bestehenden Ausnützung ein zu tiefer Landwert resultiert. Demgegenüber weichen der absolute Landwert und der zur Plausibilisierung hinzugezogene Residualwert in bedeutend geringerem Umfang voneinander ab. Angesichts des geringen relativen Landwerts erscheint denn auch einleuchtend, dass ein unabhängiger Dritter einen dem absoluten Landwert abzüglich der Abbruchkosten entsprechenden Kaufpreis bezahlt hätte.» So weit klar?

Irrtum 4

Grundstückgewinn entstehe «letztlich» durch die Teuerung, bei einem überbauten Grundstück durch die Teuerung beim Gebäude, schreibt Canonica in seinem entsprechenden Abschnitt. Man glaubt, sich verlesen zu haben. Der LIK war Anfang 2000 bei 953 und Anfang 2019 bei 1034 Punkten. Das ergibt für diese Periode eine Teuerung von 8,5 Prozent. Der Index der Wohnbaukosten ganze Schweiz stieg gemäss Bundesamt für Statistik in der nämlichen Periode von 105,5 auf 123,2 Punkte, also um 16,7 Prozent. Der Median für einen Quadratmeter unbebautes Wohnbauland im Kanton Zürich lag 2000 bei CHF 556/m² und 2019 bei CHF 861/m². Das entspricht einer Zunahme von 54,9 Prozent. Das Gebäude, das nach Canonica für den Grundstückgewinn verantwortlich sein soll, ist in dieser Periode 19 Jahre älter geworden, und dann den Grundstückgewinn generieren?

Bei der ganzen Thematik des Unterschiedes des Wertes von bebautem und unbebautem Land ist doch wieder einmal ganz einfach und pragmatisch festzustellen, dass aus bebautem Land unter Beizug geeigneter Gerätschaften praktisch innert Stunden wieder unbebautes Land gemacht werden kann. Man nennt diesen Vorgang Abbruch. Und der wird insbesondere dann angewandt, wenn auf dem Land Bauten stehen, die keinen angemessenen Ertrag generieren. Das machen übrigens nicht nur Spekulanten.

Nun kommt Irrtum 5

Der liegt bei Canonica selbst. Er verfällt einem Anfängerfehler. Rechtsfragen sind Sache der Gerichte, der Gutachter ist für Sachfragen zuständig. Der Gutachter hat die vom Gericht gestellte Frage zu beantworten, und nicht den rechtlichen Klugscheisser vom Dienst zu markieren.

Die in diesem Fall zu beantwortende Expertenfrage ist auch im Bundesgerichtsentscheid zu lesen: «Dabei wies das Gericht den Gutachter an, den Wert des (unüberbauten) unbelasteten Grundstücks – mithin ohne Baurecht – zu ermitteln.» (lit. B. des Entscheides.) Ende der Durchsage. Die Frage, die Canonica schliesslich in den Raum stellt, nämlich wie Schätzungsexperten nach diesem Entscheid vorgehen sollen, wenn sie mit einer solchen Expertenfrage konfrontiert sind, ist also einfach zu beantworten. Ob Canonica selbst sich eine weisse Wollmütze und ein gelbes Ölzeug überziehen wird und Gretamässig mit einer Tafel «Bewerterstreik für bessere Rechtsprechung» um den Hals vors Bundesgericht sitzt, werden wir sehen.

Selbst als Gerichtsgutachter tätig, weiss Canonica wohl, dass Gerichte in aller Regel ihre Praxis weiterführen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hat die hier weitergeführte und vom Bundesgericht bestätigte Praxis in einem Entscheid eingeführt, der vom 12. Dezember 1980 datiert. Leider hat Canonica es versäumt, damals seine Blitzkanonen rechtzeitig in Stellung zu bringen und abzufeuern. Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte, wie schon Gorbatschow wusste. Pech gehabt, Zeus.

Martin Frei

MSc ETH in Architektur / SIA, MAS ETH in Management, Technology and Economics / BWI, Zürich