Giancarlo Cotti, Sie resp. Ihr Unternehmen gilt als einer der wichtigen Marktplayer im Tessin, sattelfest im Immobiliengeschäft und mit dem hiesigen Markt verbunden. Beschreiben Sie den Markt Tessin. 

Das Wichtigste, vielleicht, ist, dass es «Das Tessin» nicht gibt. Wir haben hier einen heterogenen Markt mit vier Regionen und entsprechend anderen Umfeldern und Märkten. «Locarnese», die Region rund um den Lago Maggiore und die benachbarten Täler, ist ein typischer Tourismus­markt, hauptsächlich für Deutsche und Deutschschweizer. Deutsch ist hier eine Voraussetzung, um geschäftlich zu überleben. Die zweite Region, «Bellinzonese», umfasst Bellinzona und die Täler bis zu den Alpen und lebt zu 90 Prozent von Einheimischen und Beamten. Die Leute hier haben ein anderes Budget und wollen auch anders betreut werden. Wie ein kleines Zürich präsentiert sich «Luganese», das internatio­naler ausgerichtet und stärker im ­Businesssektor ist und wo viele wohlhabende Italiener sind. Diese Teilregion ist von Offenheit und Mehrsprachigkeit geprägt. Die vierte Region, «Mendrisiotto», reicht vom Sottoceneri bis zur Grenze in Chiasso. Sie ähnelt der Re­gion «Bellinzonese», ist jedoch durch die Grenze eng mit Italien verbunden.

Den Tessiner Immobilienplayern sagt man nach, sie seien eine «verschwiegene Bande»… 

Cotti: Dem kann ich nicht zustimmen. Ich habe viele Jahre für eine Grossbank in New York City gearbeitet. Aussenstehende sprachen von einem geschlossenen Kreis und von «Insider-Einheimischen», die alles mischeln. Tatsache ist vielmehr, dass man erst dazugehört, wenn man sich eingelebt und angepasst, sein Netzwerk aufgebaut und Vertrauen erarbeitet hat. Verschwiegen sind wir vielleicht, was das erarbeitete Wissen anbelangt. Da geht’s ums Geschäft.

Giorgio Maffei: Ich kann das, was Herr Cotti sagt, bestätigen, möchte aber ­hinzufügen, dass wir keinen geschlossenen Markt haben. Wir sind offen, arbeiten mit Kollegen regional und überregional zusammen. Ganz nach dem Motto: lieber ein Gemeinschaftsgeschäft als kein Geschäft.

Trotzdem, der Markt tickt anders. Woran beisst sich etwa ein Deutschschweizer die Zähne aus? 

Maffei: Wir sind in der italienischen Schweiz … hier läuft alles etwas anders, aber es läuft gut. Verstehen hat mit Anpassung, Integration und Sprache zu tun. Diese Punkte sind nicht immer gegeben. Wer den Mechanismus versteht und akzeptiert, kann hier gut geschäften. In der Re­gion «Locarnese» sind rund 85 Prozent der Kunden Deutschschweizer. Wir wären dumm, würden wir sie vergraulen.

Kommen wir zum Thema Transaktionen. Wieso kauft und verkauft man im Tessin? 

Cotti: Das Tessin gilt als «Die Malediven vor der Haustüre» oder «Italien im eigenen Land» – mit allen Vorteilen, die die Schweiz bietet. Das lässt sich gut «verkaufen». Daneben haben wir den typischen Einheimischen-Markt. Die Renner für ‹Touristen» sind Ascona, Muralto, Minusio, Ronco ­sopra Ascona. Der Preis wird von der Lage, dem Zustand der Immobilie und deren Bequemlichkeiten stark beeinflusst. No-Gos sind überalterte Immobilien, schlechtes Design und Mangel an Parkierungsmöglichkeiten. Der typische Käufer ist zwischen 40 und 60 Jahre alt; Verkäufer sind nicht etwa Einhei­mische, sondern Ü65, die eine kon­veniente Alternative zum Haus mit Umschwung und Pool suchen. Stockwerkeigentum lässt sich deshalb am besten verkaufen.

Der durchschnittliche Verkaufspreis pro Objekt liegt bei CHF 890 000; die erzielte Provi­sion bei 2,83 %. ­Unsere schwächsten Monate sind ­Januar, ­Februar, August und ­November.

Das Tessin war von der Covid-19-Pandemie besonders stark betroffen. Erzählen Sie. 

Maffei: Das war schon extrem. Die Tessiner Regierung hat jedoch schnell und hart durchgegriffen. Mit den strengen Massnahmen und der guten Vorbereitung der Spitäler war relativ rasch alles unter Kontrolle. Das hat Vertrauen geschaffen, gesamtschweizerisch. Vor Covid war der Markt relativ stabil, etwas rückläufig. Während der Pandemie wurde reduziert gearbeitet; die Nachfrage blieb intakt. Nach der «Öffnung» gab es einen regelrechten Run aufs Tessin. Auch Objekte mit grösseren Aussenbereichen und Garten sind stärker gefragt. Unerwartet – wir alle hatten mit einer langen Durststrecke gerechnet. Es scheint, als ob viele mit weiteren Pandemien oder Auswirkungen rechnen und eine Alternative zu den eigenen vier Wänden haben möchten – und zwar im eigenen Land.

Stichwort Makler: Wie kann er den Verkauf beeinflussen?  

Cotti: Professionalität und Ehrlichkeit sind die Basis. Match­entscheidend sind sein Charme – das besitzt der Tessiner –, seine Erfahrung und die Betreuung von A bis Z. Der Makler ist ein Mittelsmann mit ­Verantwortung für die Käufer- und die Verkäuferseite. Alles Dinge, die das Internet nicht kann.

Wie steht es um die Immobilienpreise? 

Maffei: Das Angebot ist gross; die Preise stagnieren entsprechend seit einiger Zeit. Viele Eigentümer sind sich nicht im Klaren, dass Vergleichswerte die Basis für einen erzielbaren Verkaufspreis sind. Sie blenden die ­Altersentwertung aus und fokussieren auf theoretische Wertsteigerungen von mehreren Prozenten pro Jahr. Tempi passati. Die Erwartungen sind eindeutig zu hoch, im Schnitt mindestens um 20 Prozent. Der Käufer dagegen meint oft, er könne ein schönes Haus im «Locarnese» mit Seesicht, Garten und Pool für CHF 1 Mio. kaufen. Auch hier: Tempi passati. Erschwerend kommt hinzu, dass die Finanzierungen mit der Berechnung der Tragbarkeit und die Bankbewertung der Immobilie einen Strich durch die Rechnung machen.

Viele wissen nicht, dass das Tessin ein strengeres Treuhändergesetz hat als jeder andere Kanton. Wer hier als Makler arbeiten will, muss eine Prüfung absolvieren und einen Praxisnachweis erbringen. Das ist keine Markt­abschottung, sondern Professionalität.

Sie haben die Bewertung angesprochen. Wie beurteilen Sie den Bewerter, wie die berechneten Werte? 

Cotti: … ein leidiges Thema. Nicht alle Bewerter haben einen realen Bezug zum Markt, sind zu theoretisch oder bewerten zu hoch, was einen Verkauf erschwert und letztlich niemandem nützt. Die restriktiven Bankschätzungen sollten als Belehnungswert angegeben werden, die Sicherheiten (für die Bank), die dort eingepreist werden, sind in 80 Prozent der Fälle für den Markt absolut unrealistisch und marktfremd. Auch das macht uns den Deal oft kaputt. Der Makler bleibt immer zwischen Hammer und Amboss … interessant ist der Job aber allemal.

Duncan Voormolen, Ihr Unternehmen fokussiert den Luxussektor. Die Ausrichtung scheint gewagt und clever gleichermassen, besonders in Ascona und der näheren Umgebung. Wie ist der Markt auf diesem Level? Und welche Rolle spielt Covid-19?

Liebhaberobjekte, wie wir sie anbieten, sind im Markt immer gefragt. Jetzt, nach Covid-19, läuft es noch besser. Unsere Kundschaft verfügt über die nötigen finanziellen Mittel und möchte ihr Geld lieber in Schweizer Immobilien als an der Börse investieren. Topimmobilien (Objekt und Lage) bleiben eine stabile Investition.

Welche Anforderungen werden in diesem Segment an einen Makler gestellt? 

Voormolen: In unserem Segment geht es weit über die reine Immobilienvermarktung hinaus. Wir begegnen unseren Partnern auf Augenhöhe. Das bedeutet, wir verstehen und kennen ihre Kultur- und Luxusbedürfnisse. Natürlich ist die Betreuung dabei immer professionell, auch was steuerliche und rechtliche Fragen betrifft. Gewiss gehört einiges an Lebenserfahrung dazu.

Seit diesem Jahr sehen wir des Öfteren, dass sich zwei Kunden gleichzeitig für ein Objekt interessieren. Das ist eine neue Situation, mit der wir lernen müssen umzu­gehen.

Beschreiben Sie den typischen Käufer von Luxusobjekten. 

Voormolen: Viele unserer Kunden sind aus der Deutschschweiz, aus den Regionen Zug, Zürich, Schwyz oder Luzern. Wir beraten sie auch, was das Thema Zweitwohnsitz anbelangt (zum Teil höhere Steuerbelastung im Tessin). Bei den ausländischen Kunden wird das BewG (ex Lex Koller) relevant; die Bewilligungen sind langwierig, aufwendig und benötigen Profis vor Ort. Dafür sind wir da.

Wie stark ist Ihr Bereich von Preisreduktionen betroffen – Angebot und tatsächlichem Vermarktungswert? 

Voormolen: Eine allfällige Preisreduktion im Luxussegment ist stark vom Zustand des Hauses abhängig. Von Reduktionen ausgenommen sind Immobilien, die sich an einer Top­lage befinden.

Als Bewerter stelle ich mir die Bewertung von Liebhaberobjekten herausfordernd vor … 

Voormolen: Der Wert von einzigartigen Objekten ist mathematisch kaum nachvollziehbar. Für die Bewertung müssen Spezialisten mit viel Erfahrung und regionalem Insider-Know-how ans Werk. Die Preise können nur über Vergleichswerte plausibiliert werden; ähnlich wie in der Kunst. Da im Luxussegment weniger Vergleichswerte existieren, ist es für Banken schwieriger diese zu bewerten. Dabei hilft es, dass ein Teil der gut­situierten Kundschaft bis zu 50 Prozent finanziert oder die Immobilie sogar komplett aus der eigenen Tasche zahlt. Wenn der Bewerter diese Parameter in seine Schätzung einbringt, funktioniert es auch mit dem Schätzungswert.

Emanuele Saurwein

Architekt Lands ­Architetture, Lugano

Emanuele Saurwein, als Architekt, ausgebildeter Bewerter und Ex-Präsident des SIV «Svizzera Italiana», Sie sind gleichsam der Gegenpol zu den befragten Maklern. Wie würden Sie die Berufsgruppe Makler qualifizieren? 

Bei mir stellen sich zwei Fragen: Sind Makler ein notwendiges Übel? Und: Sind sie qualifiziert genug? Als Architekt bin ich oft mit den negativen Seiten der Makler konfrontiert. Makler sind Generalisten und als solche eher oberflächlich; vielen von ihnen fehlt das Know-how für Technik, energetische Anliegen und für Architektur. Und sie versprechen viel. Nur wenige sind echte Profis oder holen sich Fachleute, um spezifische Fragen und Anliegen seriös abzuklären. Trotzdem sind Makler nötig, das Internet kann den Menschen, das Persönliche, nicht ersetzen. Es geht ja auch immer um Emotionen.

Und wie beschreiben Sie die Käufer und Verkäufer? 

Der Käufer weiss, was er will. Er kennt den Markt. Oder etwa nicht? Aus meiner Sicht gibt es zwei Gruppen. Die Profis, die sich auskennen, und die Laien, die sich vom Gefühl leiten lassen. Letzteres kann folgeschwer sein und mit einem bösen Erwachen enden, etwa wenn es um einen späteren Verkauf oder einen Umbau geht. Gerade hier ist ein gewissenhafter Berater oder Bewerter wichtig.

Haben Sie als Architekt seit Covid-19 eine Marktveränderung gespürt? 

Es gibt einen Strukturwandel, der meines Erachtens bereits vor Covid begonnen hat. Es findet ein Umdenken in Bezug auf Nachhaltigkeit statt, nicht nur wirtschaftlich, sondern besonders auch sozial und ökologisch. Die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen, steht im Zentrum. Auch jene, was wir den nächsten Generationen übergeben wollen. Covid hat diesen Wandel beschleunigt. Ich bin positiv, finde die Zeit interessant und bin überzeugt davon, dass uns diese Themen weiterbringen werden.

Stichwort Bewertungen: Sind die erzielten Preise (mathematisch) immer nachvollziehbar? 

Leider sind viele Bewerter mit den echten Marktwerten überfordert. Eine theoretische Ausbildung, wie auch ich eine habe, ist noch lange keine Garantie für einen richtigen Wert. Man muss extrem gut vernetzt sein, um alle Faktoren korrekt bewerten zu können; das ist nicht jedermanns Sache. Ein Thema, mit dem wir im Vorstand der Tessiner Sektion des SIV immer schon zu kämpfen hatten; eine Kontrolle der effektiven Schätzungen ist kaum möglich und durchsetzbar. Die teils überhöhten oder oft auch zu tiefen Werte lassen an der Glaubwürdigkeit der Bewerter zweifeln. Das schmerzt.

Stefano Lappe

Mitinhaber Immobiliare SL, Locarno, Schätzer, Berater, Verwalter, Makler; Immobilientreuhänder mit kantonaler Bewilligung (Tessin), MAS in Real Estate Management, MAS in Immobilienbewertung, zertifizierter Experte ISO 17024, Dozent SVIT/SRES und SIREA