Der Immobilienmarkt in der Schweiz war in den ersten sechs Monaten des Jahres einerseits turbulent und anderseits sehr ruhig. Turbulent, weil die Unsicherheit zu Beginn der Corona-Pandemie die kotierten Immobilienanlagen im Schnitt um rund 20 Prozent abwerten und bis in die Sommermonate teilweise wieder korrigieren liess. Turbulent auch, da sich viele Eigentümer und Asset Manager stark mit den Mietern, den Mietstundungen und Mietzinsreduktionen ausein­andersetzen mussten. Der Immo­bilienmarkt war aber auch sehr ­ruhig, weil deutlich ­weniger Transaktionen stattgefunden haben und die Märkte auf ­einen Schlag nahezu zum Stillstand gekommen sind. Das Transaktionsvolumen 2020 lag in der ersten Jahreshälfte weit ­unter dem bereits schwachen Vorjahr 2019. Die transaktionsarmen ­Monate Januar und Februar sind noch schwächer ausgefallen als 2019 und von März bis Mai blieb das Trans­aktionsvolumen bescheiden, bis auf den öffentlich be­kannten Deal von Globus, der das Trans­aktionsvolumen als Einmal­effekt ­angehoben hat. Erst ab Juni konnte die Transaktionstätigkeit wieder zunehmen und es wird ein deutlich aktiver Sommer erwartet.

Der Wert ist der mögliche ­Verkaufspreis

Diese Zeit war besonders herausfordernd für die Immobilienbewerter. Es gab kaum eine ausreichende Evidenz, um eine genaue Einschätzung der ­Covid-bedingten Wertschwankungen machen zu können. Gestützt auf die Best ­Practice ist der Wert einer Immobilie der Preis, den unabhängige Marktteilnehmer beim Verkauf der Liegenschaft vereinnahmen. So wird es mindestens von IFRS Standards definiert. Abgesehen davon bestehen nur wenige Ausnahmen, wann der Wert vom Preis abweichen kann. Dies insbesondere, wenn die Marktteilnehmer nicht vollständig unabhängig sind, subjektive oder strategische Aspekte in die Preisfindung einfliessen lassen oder die Transaktion unter einem enormen Zeitdruck stattfinden muss. Eine ­weitere Ausnahme kann die Übertragung von Betriebs­liegenschaften darstellen, da hier manchmal zu Buchwerten innerhalb des Unternehmens übertragen wird, ohne die Marktaspekte in Betracht zu ziehen. Ausserhalb dieser Ausnahmefälle stellt der mögliche Verkaufspreis den Wert dar. Was aber, wenn es keine Verkäufe gibt?

Eingeschränkte Aussagekraft

Wie kann ich als Bewerter Annahmen und Parameter im DCF oder im Ertragswert kalibrieren, wenn keine aktuellen Transaktionsrenditen vorliegen und wenn so viel Unklarheit über die Verpflichtung der Mieter zu Mietzahlungen herrscht? Die Bewerter haben in den letzten Monaten keine einfache Auf­gabe gehabt. Die internationale Bewertungspraxis, angeleitet von IVSC und RICS, hat den Bewertern in den turbulenten Frühlingsmonaten empfohlen, sich auf eine erhöhte, sogar signifikante oder wesentliche Unsicherheit am Markt zu berufen und die Aussagekraft der Bewertungen sowie implizit eine allfällige Haftung des Bewerters einzuschränken. Diese Empfehlung wurde auch in der Schweiz in die Praxis der grossen Bewertungshäuser umgesetzt.

Für die ­Halbjahresabschlüsse oder bei Bewertungen für Finanzierungszwecke ist diese Praxis jedoch keine gute Lösung. Sobald die Aussagekraft der Bewertung mit «wesentlicher» oder «signifikanter» Unsicherheit eingeschränkt ist, können die Revisionsstelle oder die Bank die Richtigkeit der Zahlen im Abschluss resp. die Sicherung der Hypothek nicht bestätigen. Eine Problematik, die auch mit Experten aus Audits diskutiert wurde. Während der Bewerter einem erhöhten Risiko ­einer Fehleinschätzung im Frühjahr ausgesetzt war, benötigt der Auditor trotzdem eine klare Aussage des Bewertungsexperten für den Halbjahresabschluss. Der Frühsommer konnte die Situation durch die neulich erwachte Aktivität schliesslich lösen.

Viele solche Retail-Investments sind heutzutage nur als opportunistische Anlage handelbar.

Aktiver Austausch mit ­belebtem Transaktionsmarkt

Die Wiederbelebung des Immobilientransaktionsmarktes Anfang Juni sowie die Entscheide über die Stundungen und Mietzinserlasse kamen genau rechtzeitig, um die Wertaussagen besser eingrenzen zu können. Die Bewerter, die einen aktiven Austausch mit dem Transaktionsmarkt pflegen, konnten nicht nur die wenigen erfolgten und aktuell laufenden Transaktionen interpretieren, sondern auch die volkswirtschaftliche Entwicklung und die Konsequenzen für die einzelnen Marktsegmente beobachten und entsprechende Rückschlüsse auf die Investorenpräferenz und Cashflow-­Effekte ziehen.

Wohnen stabil bis sehr positiv

Da Wohnliegenschaften am wenigsten betroffen waren und sich einmal mehr als krisenresistent erwiesen haben, ist die Investorenpräferenz für diese Anlageklasse erneut gestiegen. Auch wir haben entsprechend die Diskontierungs- und Kapitalisierungszins­sätze für Wohnobjekte nach unten angepasst, an guten Lagen sogar deutlich, um mehr als 20 Basispunkte.

Büro mit differenzierten ­Langzeiteffekten

Büroliegenschaften blieben dagegen nicht verschont. Während kaum kurzfristige negative Effekte zu verzeichnen sind, wurde der strukturelle Wandel um mehrere Jahre beschleunigt. Home­office ist nicht nur salonfähig geworden, sondern auch eine willkommene Sparmassnahme der Geschäftsführer, die noch dazu auf breite Zustimmung der Mitarbeitenden trifft. Die meisten Unternehmen sitzen auf viel zu viel Fläche und können eine spätere Belebung der Wirtschaft meistern, ohne weitere Flächen dazuzumieten. Entsprechend müssen Büroliegenschaften differenziert betrachtet werden. Hochwertige Objekte an guten Lagen in den Innenstädten bleiben en vogue und die Investorenpräferenz für solche Anlagen ist sehr hoch – auch nach Covid. Dagegen kommen Objekte in den Agglomerationsgürteln der Städte und an schlecht erschlossenen Lagen unter Druck. Es gilt, solche Effekte in den Bewertungen zu berücksichtigen, indem einerseits die Marktmieten realistisch tiefer eingeschätzt und die Kapitalisierungssätze kritisch überdacht werden. Zentral ist dabei die Frage nach der Zukunftsfähigkeit der Liegenschaft an der jeweiligen Lage. Ist sie nicht gegeben, muss das Investment als opportunistisch eingestuft werden und die Nettorendite oberhalb der 4-Prozent-Grenze liegen.

 

Dagegen kommen Objekte in den Agglomerationsgürteln der Städte und an schlecht erschlossenen Lagen unter Druck.

Verkauf nur im ­Nahversorgungsbereich

Bei der Verkaufsnutzung ist klar zu unterscheiden. Die Nahversorgung hat durch die zweimonatige Grenzschliessung und das reduzierte Restaura­tionsangebot profitiert. Demzufolge sprechen Investoren im stabilen Bereich «Food» nicht mehr vom klassischen Retail und die Nahversorgungsbetriebe werden in einer Transaktion nicht als problematisch angesehen. Anders das Non-Food-Segment: Es ist an dezentralen Lagen im Epizentrum der Krise. ­Viele solche Retail-Investments sind heutzutage nur als opportunis­tische Anlage handelbar. Die meisten Immobilien­manager möchten kurz- und mittelfristig den Retail-Anteil im Port­folio nicht weiter ausbauen, sondern sogar reduzieren. Dies beeinflusst nebst den tieferen Marktmieten auch die Kapitalisierungssätze. In Ex­tremfällen werden die Kapitalisierungs­sätze für strukturell-problematische Verkaufsobjekte bis zu 50 Basispunkte angehoben.

Wiedergewonnene Evidenz

Die aktiven Sommermonate haben die Bewerter wieder ins Licht geführt. Anhand der erfolgten und laufenden Transaktionen konnten die Investorenpräferenz, die langfristigen Annahmen für Cashflows und folglich die Marktwerte an sich kalibriert werden. Ob man den Markt aktuell als teuer oder als günstig empfindet, der Trans­aktionsmarkt ist die einzige wahre Evidenz. Entsprechend konnten wir Bewerter in den letzten Wochen unsere Disclaimer mehrheitlich auf eine «leicht erhöhte» Unsicherheit abschwächen und die Aussagekraft der Bewertungen hat sich erneut erhärtet.

Marie Seiler

Partner und Leiterin Real Estate Advisory bei PwC Schweiz, dipl. Volkswirtin, Chartered Financial Analyst CFA, Board Member von RICS Schweiz, Mitglied von Bewertungsexperten-Kammer, Mitglied von wipswiss, Dozentin an der Universität Zürich für Immobilienbewertung