Rund zwei Drittel der Privathaushalte in der Schweiz sind von nur einer oder zwei Personen bewohnt. Auf die Wohnbevölkerung berechnet, leben 46 Prozent der Menschen alleine oder zu zweit. Dies geht aus den aktuellsten Zahlen des Bundesamtes für Statistik hervor. Neue Lösungen für das Wohnen auf kleinem Raum sind gefragt – auch weil die Bodenpreise steigen und ein Eigenheim somit für viele kaum mehr realisierbar ist. Tanja Schindler, Baubiologin aus Altdorf im Kanton Uri, ist Erfinderin und seit 2013 Bewohnerin des Ökominihauses. Damit hat sie sich einen Kindheitstraum verwirklicht.

Tanja Schindler, was ist Ihre ­Hauptmotivation zum Wohnen auf 35 Quadratmetern?

Ganz einfach, ich hatte kein Geld, um ein Haus zu bauen, wollte aber baubiologisch wohnen. Somit konzipierte ich ein eigenes Heim in der Grösse, die ich mir leisten konnte. Bereits als Kind hatte ich die Vision eines solchen Minihauses. Ich fühle mich in kleineren Räumlichkeiten wohler als in ­einer Loftwohnung. Die genaue Grösse meines Hauses definierte sich durch die Transportvorschriften: Für 12 mal  3,8 Meter braucht man keine Sonderbewilligung.

«Weniger ist mehr» – das scheint ein Trend zu sein. Was sind die Vorzüge dieses Lebensstils?

Wer in einem Tiny House lebt, braucht von allem weniger: weniger Boden, weniger Energie, weniger Baumaterialien, weniger Wasser. Das Bild täuscht aber, ich habe durchaus Platz. Jeder hat Dinge, auf die er nicht verzichten will: ­Bücher, Musikinstrumente, Schuhe. Man reduziert dort, wo es nicht weh tut. Bei mir darf die Kaffeemaschine nicht fehlen. Weniger Besitz bedeutet für mich, weniger Aufwand, weniger Stress. So muss ich heute weniger Geld verdienen, um gut leben zu können.

Das Ökominihaus von Tanja Schindler umfasst 35 Quad­ratmeter Wohnfläche und produziert den eigenen Strom.

Urbanes Microliving

Leben auf wenigen Quadratmetern ist ein Lebensstil – auch im urbanen Raum. Gerade Singles wollen in ­Zentren leben, sind aber viel unterwegs und haben kein Geld, um teuren Wohnraum zu mieten. Auch ältere Menschen reduzieren sich aufs ­Wesentliche, wenn zum Beispiel die Kinder ausgezogen sind, oder wenn der Partner stirbt. Städtische ­Mikroappartements sind zwischen 17 und 45 Quadratmeter gross, meist teilmöbliert und kosten ­zwischen 1100 und 1500 Franken ­Miete monatlich.

Sie haben das Ökominihaus selbst konzipiert und zur Marktreife gebracht, was sind seine Kern­elemente?

Die Baubiologie versucht, eine Kreislaufwirtschaft ins Bauen zu integrieren. So arbeiten wir nur mit natürlichen Materialien, die wieder zurückgebaut werden können. Das Ökominihaus besteht vor allem aus Holz und wird mit einem Holzspeicherofen beheizt. An der Fassade ist eine Photovoltaik­anlage angebracht, die die benötigte Energie liefert. Die Komposttoilette sorgt für einen geringen Wasserverbrauch. Und, ebenfalls sehr wichtig: das Ökominihaus kann bei Bedarf an einen neuen Standort gezügelt werden.

Ein Ökominihaus kostet zirka 250 000 Franken, dazu braucht man rund 300 Quadratmeter Bauland. Ist das nicht etwas teuer für 35 Quadrat­meter Wohnraum?

Die Idee bei diesen ­Kleinstwohnformen ist nicht, dass man sich den Boden kauft, sondern, dass man diesen pachtet oder mietet. Es ist eine Lebens­philosophie, den Boden nicht zu besitzen. Dieser sollte der Gesellschaft gehören. Der Wert ergibt sich unter anderem dadurch, dass die Lebenshaltungskosten viel kleiner sind.

Weniger Besitz bedeutet für mich, ­weniger Aufwand, weniger Stress.

Banken verleihen kein Geld für ­bewegliche Wohnformen. Das heisst, man muss 250000 Franken auf dem Konto haben, um so wohnen zu ­können.

Ja, das ist schade. Ohne Bauland bekommt man heute keine Hypothek. Dazu kommt, dass 250 000 Franken für eine Bank zu wenig Geld für ein lohnendes Geschäft sind. Ich finde, hier wäre ein Umdenken nötig.

Gibt es weitere Hindernisse für ­Interessierte?

Bei der Eingabe für ein Tiny House muss man die gleichen Vorgaben bezüglich Baubewilligungen einhalten wie beim Bau eines Einfamilienhauses auf eigenem Grund. Die Behörden sind kaum bereit, Sonderbewilligungen zu erteilen. Das treibt den Initialaufwand in die Höhe.

Schränkt dies die Nachfrage nach Tiny Houses ein?

Es gäbe Tausende in der Schweiz, die so leben möchten. Und doch wird es vorerst ein Nischenprodukt bleiben. Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Gemeinden auf solche Projekte einliessen. Sie besitzen Bauland, das brach liegt, das für zukünftige öffentliche Gebäude reserviert ist. Wir suchen Grundstücke, die für eine Nutzung von mindestens zehn Jahren gepachtet werden könnten.

Tanja Schindler

Baubiologin, lebt in ­einem Tiny House in Altdorf, UR.

Tiny House Movement

Die Tiny-House-Bewegung startete in den 70er-Jahren in den USA, hat es in der Schweiz aber nie wirklich über das Wohnen im Zirkuswagen hinausgeschafft. Der aktuelle Trend des ­«Gesundschrumpfens» oder «Down­sizing» hat – gerade im umweltbewussten ­Europa – einen neuen Boom ausgelöst. So dreht es sich heute längst nicht mehr um das kreative Ausbauen von Bauwagen. Die modernen Tiny Houses sind wahre Wunderboxen, produzieren ihren Strom ­selber und brauchen wenig Wasser. Meist sind sie zwischen 20 und 45 Quadratmeter gross und können an einen anderen Standort gezügelt werden.

Microliving schafft Mehrwert

Das sagt Martin Bühler, Immobilienexperte bei Fahrländer Partner und Architekt…

… zu Mikroappartements: «Bei gegebener Absorption haben Liegenschaften mit vielen kleinen Wohnungen trotz höheren Erstellungskosten einen höheren Marktwert als Liegenschaften mit wenigen grossen Wohnungen. Weil es bei Kleinwohnungen häufiger zu Mieterwechseln kommt, erhöhen sich die Betriebskosten. Gleichzeitig können aber auch Mietzins­anpassungen in kürzeren Abständen erfolgen. Dasselbe gilt grundsätzlich auch für Mikro­appartements. Aktuell haben wir zu dieser Wohnform noch keine verlässlichen statistischen Daten. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass sie eher einem urbanen Lebensstil entsprechen. In ländlichen Gebieten würden wir von solchen Konzepten deshalb abraten.»

… zu Tiny Houses: «Als Architekt reagiere ich eher gelassen auf den Trend. Es gibt durchaus erschwingliche Wohnmobile, die fast den gleichen Komfort bieten wie ein Tiny House. Insofern muss das Tiny House architektonisch überzeugen, wenn es auf dem Markt bestehen soll. Einen ökologischen Vorteil bringt das Tiny House kaum, denn auch ein herkömmliches Einfamilienhaus kann ressourcensparend gebaut und betrieben werden. Auch raumplanerisch führt das Tiny House nicht zu verdichtetem Bauen. Es macht aber den Wunsch vieler Menschen nach einem erschwinglichen Eigenheim möglich.»

Martin Bühler ist Architekt und Partner bei Fahrländer Partner Raumentwicklung in Zürich. Er ist zudem Immobilienschätzer und Mitglied beim SIV.

Mehr Infos: www.oekominihaus.ch