Die griechische Vorsilbe «mikro» bedeutet klein oder fein. Die Mikrolage könnte deshalb als feine Positionierung auf kleinem geografischem Raum beschrieben werden. Sie kann eine Re­gion, ein Quartier oder gar eine Strasse sein und berücksichtigt die Umgebung einer Immobilie und ihre Verbindungen damit. Zu den für die Mikrolage ausschlaggebenden Faktoren zählen etwa Lärmimmissionen, die Aussicht und die Erreichbarkeit, aber auch die Nähe zu Schulen, Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten sowie zu Verwaltungseinrichtungen. Die Makrolage hingegen betrachtet die grössere Ebene und konzentriert sich vor allem auf Aspekte der Raumplanung. Die Analyse der Mikrolage verlangt demnach nach spezifischem Wissen, das ohne Erfahrung und Augenschein vor Ort kaum erlangt werden kann. 

Im Rahmen einer Immobilienbewertung kann sich die Mikrolage einer Immobilie als Schlüsselfaktor für deren Wert herausstellen. Sie erklärt, warum Immobilienpreise im gleichen Ort stark variieren können. Um sich der Wichtigkeit dieser Faktoren stärker bewusst zu werden, sollten die bereits erfolgten Transaktionen in der Nähe verglichen und die Wertspannen, die spezialisierte Unternehmen abgeben, analysiert werden. 

Der lokale Experte bleibt unverzichtbar 

Für die Qualität der Mikrolage einer ­urban gelegenen Immobilie sind insbesondere Lärmimmissionen, der öffentliche Verkehr sowie die Einkaufs- und Erholungsmöglichkeiten ausschlaggebend. Liegt das zu bewertende Objekt hingegen in einem Berggebiet, machen Faktoren wie Sonneneinstrahlung, die Aussicht und die Nähe zu Bergbahnen den Unterschied. Dies zeigt, dass die Faktoren der Mikrolage je nach Standort unterschiedlich sind. Aus methodischer Sicht empfiehlt es sich, eine Art Rangliste der verschiedenen Lagen zu erstellen und sie in einem bestimmten Umkreis untereinander zu vergleichen. 

Um diesem wichtigen Faktor Rechnung zu tragen, versuchen statistische Modelle, eine Vielzahl von Daten zu sammeln. Obwohl sie stets verlässlicher werden, sollte man dennoch nicht vergessen, dass es für solche Modelle weiterhin schwierig bleibt, die Eigenschaften der Mikro­lage vollständig zu erfassen. ­Einen lokalen Experten beizuziehen bleibt unverzichtbar, insbesondere in Regio­nen mit geringer Siedlungsdichte, wo nur wenige Immobilientrans­aktionen stattfinden. Die lokalen Eigenheiten können sogar so vielseitig sein, dass es schwer vorstellbar ist, dass es Expertinnen und Experten für mehrere Regionen gleichzeitig gibt. Wer in seinem Arbeitsgebiet wohnt, lernt die Begebenheiten des lokalen Markts in der Regel viel besser kennen. Durch das Wohnen im Gebiet wird die Neugier geweckt, und man achtet automatisch stärker auf mögliche territoriale Veränderungen, die ausschlaggebende Auswirkungen auf die Immobilien einer Region haben könnten, wie etwa eine neue Zufahrts­strasse, neue Schuleinrichtungen oder gar eine neue Bergbahn. 

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Besuch vor Ort für die Immobilienbewertung weiterhin unabdingbar ist, um die für die Qualität der Mikrolage wichtigen Faktoren zu erfassen, welche die Modelle nicht in ihre Berechnungen miteinbeziehen können. Der Experteninput verfeinert oder ergänzt die Modellbewertung also mit einer menschlichen Einschätzung, die nicht automatisch erfolgen kann und bei der auch nicht ganz erklärbare Empfindungen eine Rolle spielen können.

Alexandre Baettig

Immobilienexperte, Co-Direktor
Acanthe SA, Mitglied CEI