12 % Leerstand am Flughafen Genf

6% im gesamten Kanton

«Anstieg der leer stehenden Büros in Genf», «Immer mehr leer stehende Wohnungen in der Schweiz» – das Thema leer stehender Immobilien findet sich in den letzten Jahren immer wieder auf den Titelseiten von einigen Westschweizer Zeitungen. Interessanterweise führte dieses Thema zu verschiedenen spezifischen Gesetzgebungen – wie das Genfer Gesetz über den Abriss, die Umwandlung und die Renovation von Wohnungen LDTR – die sich spürbar auf den Wohnungsmarkt auswirken.

Im Bereich Immobilienschätzung wird festgestellt, dass dieser Aspekt oft noch an zweiter Stelle kommt und nur oberflächlich analysiert wird, während die Beurteilung der marktüblichen Mietpreise und des Ertragsniveaus im Mittelpunkt der Schätzung von Investitionsgütern steht. Dieser Ansatz widerspiegelt unsere «historisch» bedingten Erwartungen an den Immobilienmarkt, einen Sektor, der seit über zwanzig Jahren als stabil und attraktiv gilt. Die letzten fünf Jahre zeigten aber ein abweichendes Bild (Entwicklung der Nachfrage, umfassenderes Angebot) und der Leerstand von Immobilien ist heute ein zentrales Thema für Immobilieneigentümer.

Die Zahl der leer stehenden Geschäftsräume bleibt vage und undurchsichtig.

Wohnungsmarkt

Für Wohnimmobilien ist der Leerstand aufgrund des geringen Mietrisikos dieser Liegenschaften weiter kein Thema. In der Tat liegt die Leerwohnungsziffer in der Westschweiz und insbesondere in den städtischen Gebieten der Kantone Genf und Waadt seit über 15 Jahren auf einem extrem tiefen Niveau. Es besteht folglich kein besonderes Mietrisiko und die Fachpersonen begnügen sich damit, einen strukturellen Leerstand einzuberechnen, der dem in der Region beobachteten / veröffentlichten Leerstand entspricht. Es scheint allerdings wahrscheinlich, dass diese Praxis in einem immer stärker umkämpften Markt, in dem in bestimmten Sektoren die Mietbefreiung – nach über 20 Jahren! – wieder ein Thema ist, verschwinden wird und die Fachpersonen dem Leerstand mehr Aufmerksamkeit widmen müssen.

In Anbetracht der aktuellen Nachfrageentwicklung und über den geografischen Aspekt hinausgehend wird es darum gehen, abhängig von der Typologie der Liegenschaften und insbesondere ihrer Grösse und ihres Standards ein differenziertes Leerstandrisiko zu berücksichtigen. Auch wenn der Markt der «Standardwohnungen» dynamisch bleibt, leidet der Sektor der grossen Wohnungen (ab sechs und sieben Zimmern) und der Luxusimmobilien seit einigen Jahren unter einer deutlich sinkenden Nachfrage, begleitet von sinkenden Mieten. Mit der intensivierten Planung von Wohnprojekten im Genferseeraum und folglich einer steigenden Konkurrenz werden die Fachpersonen in Zukunft gezwungen sein, das Leerstandrisiko von Wohn­immobilien detaillierter und vertiefter zu betrachten, namentlich mit Leerstandzeiträumen oder differenzierten strukturellen Leerstandziffern, die von den Eigenschaften der geschätzten Liegenschaft abhängen.

Die Leerwohnungsziffer in der Westschweiz liegt auf extrem tiefem Niveau.

Geschäftsflächenmarkt

Im Bereich der Geschäftsräume (Büros und Verkaufsflächen) ist der Leerstand, der durch eine seit fünf bis sechs Jahren zu beobachtende Verschlechterung dieses Marktes entstand, seit mehreren Jahren ein zentrales Thema der Immobilienschätzung. So sehr aber die Leerwohnungslage klar und präzise gehandhabt wird, so sehr bleibt die Zahl der leer stehenden Geschäftsräume vage und undurchsichtig. Die Eigenart der leer stehenden Geschäftsräume liegt in der Schwierigkeit, einen vollständigen Überblick über die verfügbaren Flächen zu erhalten. Dies liegt am sogenannten «Graumarkt»: Dieser Begriff umfasst alle Immobilien, die nicht offen – beispielsweise mit Inseraten – kommerzialisiert, sondern sozusagen auf vertraulicher Basis angeboten werden. In einigen Fällen geht es dabei um einen bedeutenden Anteil des Mietmarktes. Als Folge dieser relativen Intransparenz werden neben den offiziellen Zahlen der kantonalen Statistikämter auch von spezialisierten Büros Einschätzungen der leer stehenden Immobilien pro Stadt und Quartier von Agglomerationen wie Genf und Lausanne veröffentlicht.

Für Geschäftsräume wird das Risiko des Leerstands in erster Linie in Bezug auf die geografische Lage und insbesondere abhängig von der Mikrolokalisierung der zu schätzenden Liegenschaft beurteilt. So kann der Leerstand in der gleichen Stadt / Agglomeration von einem Sektor zum anderen stark abweichen. Ein deutliches Beispiel ist der Flughafen Genf, wo die von Fachpersonen geschätzte Leerstandziffer (ungefähr 12 %) etwa doppelt so hoch ist wie jene des gesamten Kantons (ungefähr 6 %) oder die Ziffer im Quartier, das an die Vereinten Na­tionen angrenzt (ungefähr 5 %).

Die Berücksichtigung des Leerstandsrisikos bei der Immobilienbewertung ist ebenso wichtig wie die Beurteilung von Mietpotenzial und Ertragsniveau.

Der Einbezug der Leerstandzeit in die Schätzung ist ebenfalls in einen umfassenderen Ansatz einzubetten und muss mit den berücksichtigten Mietannahmen konsistent sein. In der Tat sind die zukünftig in Betracht gezogenen Mietpreisniveaus sowie mögliche gewährte «Anreize» (Mietbefreiung, Staffelmiete, finanzielle Beteiligung des Eigentümers an der Innenausstattung) Attraktivitätsfaktoren für Mieter und haben einen direkten Einfluss auf die angenommene Leerstandzeit.

In Anbetracht der Entwicklung der Nachfrage nach Dienstleistungsflächen und der Konsum- und Arbeitsgewohnheiten liegt es schlussendlich an den Fachleuten, sich im Hinblick auf die Qualität und die Typologie der Flächen mit dem Leerstand zu beschäftigen und das Vermarktungspotenzial der Flächen, das heisst ihre Entsprechung mit der aktuellen Nachfrage zu beurteilen. Es geht folglich für vollständig leer stehende Immobilien, grosse Verwaltungsflächen in der Agglomeration und für einige grosse Einkaufszentren darum, eine «Umwandlung» dieser Flächen in Betracht zu ziehen, da der Leerstand hier nicht auf wirklichkeitsfremde Mietbedingungen zurückzuführen ist, sondern darauf, dass die Merkmale der leer stehenden Flächen nicht der Nachfrage entsprechen.

In einem immer stärker umkämpften und im Wandel begriffenen Immobilienmarkt ist die Berücksichtigung des Leerstandrisikos bei der Immobilienschätzung ebenso wichtig wie die Beurteilung des Mietpotenzials und des Ertragsniveaus. Auch erlaubt die Struktur des Angebots und der Nachfrage keine «oberflächliche» Betrachtung dieses Themas mehr, da es direkt mit allen anderen Schätzungsparametern verbunden ist. Abgesehen von der reinen Gebäudeschätzung zeigt eine Risikoanalyse des Leerstands der Liegenschaft die wachsende Rolle des Immobilienberaters auf, die ein Fachmann einnimmt. Sie entspricht zudem einer wachsenden Nachfrage der Eigentümer, die für die Auswirkungen dieses Faktors auf den Wert ihrer Immobilie sensibilisiert sind.

Bertrand Maag, MRICS

Direktor bei SPG Inter­city Geneva SA und Leiter der Abteilung ­Evaluations & Consulting; spezialisiert auf Beur­teilung und Analyse von Renditeliegenschaften (Büros, Retail, Industrie und Wohnungen).