Die häufigste Quelle für Unsicherheiten in den Vorschriften ist die Vielzahl von Begriffen, die mehr oder weniger das Gleiche aussagen wollen und einer ähnlichen Logik folgen, die jedoch je nach Interpretation und Anwendungsgebiet eine wesentliche Wirkung auf ein Bauvorhaben haben können. Bei einem Preis von über CHF 10 000 pro m² für eine Eigentumswohnung in grossen Schweizer Städten macht der Verlust von nur einem oder zwei Prozent Fläche tatsächlich selbst bei einem kleinen Projekt schnell mehrere Hunderttausend Franken Umsatz aus.

Undurchsichtiges ­Berechnungsverfahren

So beziehen sich beispielsweise zahlreiche Vorschriften noch auf die Geschossflächenzahl (GFZ) oder die bebaute Fläche sowie auf die Grundflächenzahl (GRZ), um die Bebaubarkeit eines Grundstücks zu bestimmen. Die Methode der Berechnung dieser Zahlen ist in der Bauordnung beschrieben, kann jedoch je nach Bauordnung variieren. Doch vor allem sind die Feinheiten der Berechnung oft nicht in den Artikeln beschrieben, die sich mit den Zahlen im engen Sinn befassen. Erst auf den letzten Seiten der Verordnungen, auf denen verschiedene Themen wie Swimmingpools, Anbauten von geringer Bedeutung, die Form von Dächern, Vorsprünge in Fassaden etc. behandelt werden, wird darauf eingegangen, dass bei diesen Elementen in der GFZ oder GRZ zum Teil 50 % bis 100 % ihrer Fläche zählen. Dies wirkt sich auf der Konstruktionsebene des Projekts aus, zum Beispiel indem statt Garagenboxen eine Tiefgarage favorisiert wird, die auf dem Index nicht zählen würde.

Weitere Terminologien, die sich häufig unterscheidet, bei der Analyse des Grundstücks jedoch entscheidend ist, betrifft Begriffe, die regelmässig vorkommen, wie das Gesims, die obere Ebene der Fussschwelle oder auch die Überschneidung der Fassadenpläne mit der oberen Ebene des Dachstuhls. Alle Begriffe beschreiben das gleiche Konzept, das die Wandhöhe unter dem Dach bzw. die Höhe der Firstpfette definiert. Diese Höhe variiert je nach Gemeinde. Sie ist entscheidend für die Berechnung der Fläche, die rechtmässig vermietet oder verkauft werden kann. Im Kanton Waadt muss eine Höhe von 2,40 m auf mindestens der Hälfte der nutzbaren Fläche eingehalten werden. Letztere wird dabei erst ab einer Mindesthöhe von 1,30 m unterhalb der Decke gezählt. Es ist daher unerlässlich, die Maximal­höhe des «Gesimses» und der zugelassenen Dachschräge genau zu kennen, um bestimmen zu können, ob und in welchem Umfang die Fläche des Dachgeschosses oder allfälliger Geschosse oberhalb rechtmässig genutzt und verkauft werden kann. Teils müssen wir auf unsere Geometriekenntnisse zurückgreifen, denn einige Verordnungen präzisieren die Dachschräge nicht, aber bestimmen die Höhe des Gesimses sowie eine Maximalhöhe des Firsts, was in der Folge wiederum indirekt die Dachschräge festlegt. In jedem Fall können die Wandhöhe des Dachgeschosses und die Dachschräge schnell wertvolle Fläche einschränken oder hinzufügen. All dies scheint elementar zu sein, aber es waren schon viele Bauunternehmer dazu gezwungen, hohe Entschädigungen an Käufer zu bezahlen, die vor Gericht eine geringere Fläche geltend gemacht haben als diejenige, die vom Bauunternehmer ursprünglich zugesagt worden war. Ausserdem kann die Nichteinhaltung auch eine Verurteilung aufgrund einer Verletzung des kantonalen Raumplanungsgesetzes oder Bauerlasses zur Folge haben.

Eine Norm, um Licht ins ­Dunkel zu bringen

Heute werden diese Begriffe bei Revisionen der Verordnungen erfreulicherweise oft mit Begriffen der SIA Norm 421 ersetzt, und zwar mit der Überbauungsziffer (ÜZ) und der anrechenbaren Bruttogeschossfläche (aBGF). Diese Norm enthält eine umfassendere Beschreibung als die kommunalen Verordnungen und erleichtert das Verständnis mithilfe von Skizzen. Viele Kantone haben ausserdem die Interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der Baubegriffe (IVHB) angenommen, die sie dazu verpflichtet, ihre Gesetzgebung und ihre kommunale Nutzungsplanung anzupassen. Bis zu einer tatsächlichen Harmonisierung ist es jedoch noch ein sehr langer Weg.

Neben den Unsicherheiten aufgrund der uneinheitlichen Terminologie und der heterogenen Anwendung der Begriffe muss eine weitere Hürde überwunden werden: Die häufig willkürlichen Artikel definieren die Umsetzung der Vorschriften nicht präzis oder überlassen den Gemeinden bzw. den beratenden Baukommissionen einen grossen Spielraum für die Umsetzung. Der folgende Ausschnitt ist ein gutes Beispiel dafür: «Um die Einheit oder die Harmonie eines Quartiers, einer Gebäudegruppe oder einer Strasse zu bewahren, kann die Gemeinde die Höhe eines Gebäudes begrenzen, eine Höchstanzahl von Stockwerken festsetzen, die niedriger ist als diejenige in der Verordnung, oder eine Maximalhöhe für die Fassaden und den Dachfirst vorschreiben.» Das bedeutet, die Gemeinde behält sich das Recht vor, nach subjektiven Erhaltungskriterien über die Bebauung einer Parzelle zu entscheiden.

Fallbeispiel

Ein Bauunternehmer möchte zehn Wohnungen auf dem Grund eines alten Bauernhofs erstellen. Dieser liegt in einer Dorfzone, in der seit Jahrzehnten keine Landwirtschaft mehr betrieben wird. Der Bauern­hof ist in Denkmalverzeichnis und Bauinventar mit der Note 4 eingestuft und ist demnach gut integriert. Der Kanton Waadt und die kommunalen Vorschriften geben den Gemeinden bei Bauten mit der Note 4 relativ viel Spielraum. In diesem Fall entscheidet die Gemeinde, sich an die beratende Baukommission zu wenden. Dieses Organ ist in vielen Bauordnungen dafür vorgesehen, die Gemeinde bei wichtigen oder sensiblen Dossiers zu unterstützen. Die Kommissionen intervenieren häufig schon vor der öffentlichen Auflage eines Baugesuchs. Die Verhandlungen zwischen der Kommission und dem Bauunternehmer ­dauern ein Jahr, ehe es zu einer Einigung kommt. Die Einigung besteht darin, das Gewölbe am Eingang der Scheune zu erhalten und in den Eingangsbereich des Wohn­gebäudes zu integrieren. Um diese Anforderung zu erfüllen, übersteigt die Höhe des Projekts die in der Bauordnung zugelassene Höhe um 30 cm. Dies wird im Rahmen einer Ausnahmeregelung ins Baugesuch miteinbezogen. Zu diesem Zeitpunkt sind die Gemeinde und ihre Kommis­sion einverstanden. Die öffentliche Auflage kann beginnen. Nachbarn bemerken ­jedoch die Ausnahmeregelung und erheben auf dieser Basis Einspruch. Das heisst für unseren Bau­unternehmer: zurück an den Verhandlungstisch. Nach sechs Monaten Verhandlung entschädigt der von den fortlaufenden Schwierigkeiten mitgenommene Bauunternehmer die Opponenten schliesslich, damit sie die ­Einsprache zurückziehen. Bei mit Note 4 eingestuften Gebäuden haben die kommunalen Behörden oft einen grossen Ermessensrahmen. Solche Verfahren sind zum Teil komplizierter als bei Gebäuden, bei ­denen die Vorschriften verbindlicher, aber klar definiert sind.

Lösungen zur Minimierung der Unsicherheiten

Es existieren mehrere Lösungen, um die Risiken aufgrund dieser Unsicherheiten zu verringern. Beispielsweise könnte der Kauf einer Parzelle von der Erteilung einer Baubewilligung abhängig gemacht werden. In diesem Fall wird das Risiko eliminiert, sich als Inhaber eines Grundstücks wiederzufinden, das nicht bebaut oder dessen theoretisches Potenzial nicht verwirklicht werden kann. Die Unsicherheit wird auf das Ergebnis des Baugesuchs reduziert, womit sich das Risiko hauptsächlich auf die Gebühren für die Projektierung beschränkt. Letztere sind sicher nicht unerheblich, stellen jedoch einen Verlust dar, der wesentlich geringer ist als der Erwerb eines Grundstücks, das wenig oder gar kein bebaubares Potenzial hat. Die Realität des Markts ist jedoch, dass die attraktivsten Angebote häufig sehr begehrt sind. Versierte Verkäufer nutzen die Konkurrenz zwischen den potenziellen Käufern, um die bestmöglichen Verkaufskonditionen zu erreichen, und versuchen auf diese Weise, ihre eigenen Unsicherheiten zu reduzieren. Als Folge davon muss das Grundstück häufig ohne Bedingungen erworben werden; daher ist ein solides Verständnis der Verordnung so wichtig.

Gleichzeitig bieten diese Unsicherheiten auch eine Chance. Tatsächlich können Akteure, die einen guten Ruf haben, gute Beziehungen mit den kommunalen und kantonalen Behörden unterhalten und die lokalen Vorschriften beherrschen, Chancen schneller und aggressiver nutzen als ihre Konkurrenten, die nicht über dieselbe Erfahrung verfügen.

Auch in einer Welt, die zunehmend von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz geprägt ist, kann die Technologie schliesslich die Befindlichkeiten einer Gemeinde oder eines Bereichsleiters noch nicht erraten. So behält der lokale Experte seine unverzichtbare Stellung – dank der Unsicherheiten, die ihm Mühe und häufiges Kopfzerbrechen bereiten.

Boris Mateev 

Makler und Immobilien­experte, Geschäftsführer von Beau-Soleil Conseils Sàrl, Pully