Jeden Herbst veröffentlicht das Bundesamt für Statistik die Leerwohnungsziffer des Landes. Die Zahl und ihre Entwicklung wird jeweils in allen grossen Medien des Landes debattiert. Anlass dazu gibt es durchaus: So vermeldete das BfS im September 2018 mit durchschnittlich 1,62 Prozent die höchste Leerwohnungsziffer seit 20 Jahren.

Unter anderem wegen dieser historischen Marke widmet sich die Zoom-Redaktion der Debatte um den Leerstand: Sie hat fünf Thesen zum Thema formuliert und diese Andreas Loepfe zur Diskussion vorgelegt.

These 1: Die Bau- und Zonenordnung verursacht viele Leerstände: Nutzungsflexibilität ist nicht gegeben, Umnutzungen sind schwierig.

«Die Bau- und Zonenordnung ist nicht verantwortlich für Leerstände», sagt Loepfe. Den Hauptgrund für die aktuell hohen Leerstände im Mietwohnungsbereich sieht er stattdessen in einem regionalen Überangebot. «Letztlich sind alle Leerstände aber auch ein Pricing-Problem beziehungsweise eine Auswirkung von zeitlich verzögerten Preisanpassungen.» Dass in der Schweiz am falschen Ort gebaut wird, sei dann doch in einem gewissen Sinne ein raumplanerisches Versagen: «Neue Wohnungen entstehen vor allem in der Agglomeration. In den Städten, wo der Wohnraum knapp ist, findet zu wenig Nachverdichtung statt», kritisiert Loepfe. Diese Entwicklung lasse sich auch dadurch erklären, dass die Bau- und Zonenordnung nach wie vor primär eine Dichte-Verhinderungsnorm ist. «Die Verantwortung dafür tragen letztlich dennoch wir, die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger der Schweiz.»

Neben den gesetzlichen Schranken haben auch die Immobilienbesitzer Vorbehalte gegen Umnutzungen: Dies zeigt etwa eine 2015 am CUREM im Rahmen einer Masterarbeit in der Stadt Basel durchgeführte Studie. Die Besitzer von Bürogebäuden zeigten in den Befragungen überwiegend kein Interesse an Umnutzungen zu Wohnraum. Begründet wurde dies mit der gemäss Studie meist ungeprüften Annahme, dass die Umnutzung keine Rendite ­abwerfen wird und die Gebäude für eine Wohnnutzung nicht geeignet sind. Zudem stellten die Zusammenarbeit mit den Behörden, der Denkmalschutz ­sowie aktuelle bautechnische Anforderungen Hürden dar.

Je weiter weg vom Zentrum, desto höher werden die Ausfälle.

These 2: Der Leerstand ist dort tief, wo städtische Zentren innert einer Stunde erreichbar sind.

Zentrumstädte der Agglomerationen sowie allgemein mit öffentlichem Verkehr sehr gut erschlossene Orte haben die tiefsten Absorptionszeiten und Sockelleerstände. Dies schreibt die Raiffeisen in ihrer Studie «Immobi­lien Schweiz» (1. Quartal 2019). Auch die CS rechnet in ihrer Studie «Schweizer Immobilienmarkt 2019» vor, dass die durchschnittlichen Mietertragsausfälle in Grossagglomerationen nur 1,4 Prozent betragen (Durchschnitt: 3,1 Prozent). Je weiter weg vom Zentrum, desto höher werden die Ausfälle. Fazit der CS-Analysten: «Nachfrage und Angebot auf dem Mietwohnungsmarkt klaffen auseinander. Die Lagequalität ist daher wichtiger denn je.»

Loepfe weist mit Blick auf die Zukunft darauf hin, dass die Leerstände auch in ländlichen Gemeinden sinken werden, wenn das Pricing angepasst, sprich die Mietpreise gesenkt werden. «Die langfristige Preiselastizität ist im Wohnbereich erstaunlich hoch. Schon kleinere Senkungen der Mieten sorgen mit der Zeit für sinkende Leerstände», sagt er. Noch würden sich viele Anbieter scheuen, die Mietpreise zu senken. «Aber das wird unausweichlich sein.»

These 3: Eine hohe Leerstandziffer hemmt die wirtschaft­liche Entwicklung einer Region bzw. schreckt die Investoren ab.

Falsch, sagt Loepfe, denn: «Die ak­tuell hohen Leerstände der Schweiz beruhen in den meisten Fällen nicht auf einer negativen Wirtschaftsentwicklung oder einer schrumpfenden Bevölkerung, sondern auf einer Überproduktion. Tiefe Miete und ein liquider Büro- und Wohnungsmarkt sind gut für die Wirtschaft», so Loepfe. Als Beispiel erwähnt er Berlin: In der deutschen Hauptstadt waren Wohnungen und leer stehende Geschäftsflächen um die 2000er-Jahre sehr günstig zu haben. Das zog unter anderem eine bunte Szene von Start-ups und Kreativwirtschaftern an. Heute sind die Leerstände tief und die Mieten hoch.

Dass in der Schweiz am falschen Ort gebaut wird, ist […] ein raumplanerisches Versagen.

These 4: Hinter dem starken Mietwohnungsbau der letzten Jahre stehen vor allem institutionelle Investoren. Die aktuell hohen Leerstände kümmern ­diese Investoren kaum, da sie mittel- bis langfristig rechnen und planen.

Der Run der Pensionskassen auf Immobilieninvestitionen ist ungebrochen: Wie die ZKB-Tochter Swisscanto in ihrer Pensionskassenstudie 2019 schreibt, haben die Vorsorgeeinrichtungen ihren Immobilienanteil in den letzten zehn Jahren von 19 auf 25 Prozent erhöht. Der Immobilienanteil liegt damit in der Schweiz deutlich höher als im internationalen Vergleich.

Tatsächlich seien in den vergangenen Jahren viele institutionelle Investoren zu optimistisch in Bauprojekte eingestiegen, sagt Loepfe. «Teilweise gab es sogar die Situation, dass für Projekte mehr gezahlt wurde als für bereits bestehende Überbauungen. Das zeigt, dass die Risikoeinschätzung dieser Anleger nicht immer adäquat war, denn der Cashflow bestehender Gebäude ist grundsätzlich besser prognostizierbar als derjenige von Projekt­enwicklungen.» Leerstände müssen in Investitionsrechnungen eingeplant werden, sagt Loepfe. «Man kauft mit einer Kapitalanlage letztlich nur den effektiven Cashflow aus den vermieteten Flächen.»

Als Resultat der teils zu optimistischen Ertragserwartungen müssen ­einige institutionelle Investoren künftig Abschreibungen vornehmen. «Dass ihnen hohe Leerstände egal sind, glaube ich trotz dem naturgemäss langfristigen Planungshorizont nicht. Die Abschreibungen kommen in den nächsten zwei, drei Jahren und können die Performance spürbar negativ beeinflussen», so Loepfe.

These 5: Die Erfassung der Leerwohnungsziffer durch das Bundesamt für Statistik ist vielen Fehlerquellen unterworfen: Dies, weil die Gemeinden ihre leer stehenden Wohnungen mit unterschiedlichen Methoden erfassen. Die Aussagekraft der Leerwohnungsziffer ist begrenzt.

Je nach Gemeinde wird die Leerwohnungsziffer durch Vermieterumfragen, Register oder mithilfe der Elektrizitätswerke durchgeführt. «Ein Vergleich verschiedener Gemeinden untereinander ist darum schwierig», sagt Loepfe dazu. «Bleiben die Fehlerquellen allerdings konstant, hat die Entwicklung der Leerwohnungsziffer einer Gemeinde oder Region trotzdem eine gewisse Aussagekraft.» Doch natürlich sei es wichtig, für Analysen zusätzlich Indikatoren des Marktgleichgewichtes zu betrachten: etwa die Angebotsziffer, also das Verhältnis von Neubauproduktion zum Bestand, und die Absorptionszeit.

Andreas Loepfe

hat Architektur und Wirtschaft studiert und ist Managing Director des Center for Urban & Real Estate Management (CUREM) an der Universität Zürich. Zudem ist er CEO des in Zürich ansässigen Immobilien Investment Managers INREIM, Co-Autor der Swiss Valuation Standards SVS und Mitglied des Schweizer Immobilienschätzer-Verbandes (SIV).