Urs Hausmann hat sich durch ­Archive gewühlt, viele Seiten Fachliteratur gelesen und Gespräche mit Dutzenden Expertinnen und Experten der Immobilienbranche geführt. Das Resultat davon ist ein Buch, das über 200 ­Jahre Schweizer Bewertungsgeschichte zusammenfasst.¹ Es ist ein Pionierwerk, das einen Überblick zu Entwicklungen des Schätzerwesens bietet. Bei der Lektüre fällt auf, dass die Branche in der jüngeren Geschichte innert weniger Jahrzehnte einen grundlegenden Wandel durchgemacht hat. «Bis in die 1990er-Jahre waren Immobilienschätzer typischerweise Männer, die alleine arbeiteten oder für die Verwaltung Bewertungen machten», sagt Hausmann, der nicht Historiker, sondern promovierter Volkswirt und Jurist ist. «Typischerweise waren das Feld-Wald-Wiesen-­Schätzer, die alle Kategorien von Immobilien bewerteten.» Zudem seien alle Immobilienbewerter damals Autodidakten gewesen, meist mit einem beruflichen Hintergrund als Architekt oder Treuhänder. «Mit dem Aufkommen von ersten Ausbildungsgängen vor rund 20 Jahren setzte eine Professionalisierung ein», sagt Hausmann, der langjähriger Mitinhaber von Wüest Partner war und seit 2016 als selbständiger Berater arbeitet. 

Die Essenz der Bewertung sind Wissen und Daten.

Eine Folge der Entwicklungen seit 1990 ist, dass die Einzelbewerter weniger und durch Unternehmen ersetzt werden. Letztere haben zudem eine Spezialisierung in Gang gebracht. «Diese ist nötig, um in Zeiten der fortlaufend automatisierten Bewertungen einen Mehrwert durch menschliches Spezialwissen zu schaffen», sagt Hausmann. Die Arbeit werde den Schätzerinnen und Schätzern sicher nicht ausgehen, «aber sie ist im Fluss». In diesem bewegten Markt müssten sich Bewerter und Unternehmen beispielsweise vermehrt auf Beratungstätigkeiten oder besondere Immobilienkategorien konzentrieren. Hausmann erwartet, dass sich die Konsolidierung weg von Einzelpersonen hin zu Unternehmen fortsetzt: «Die Essenz der Bewertung sind Wissen und Daten. Für einzelne Bewerter ist es schwieriger, diese in der benötigten Menge aufzubringen.»

Transparenz braucht Transaktionsdaten

Methodisch und in der Ausbildung hat die Immobilienbewertung seit den 1990er-Jahren grosse Schritte nach vorne gemacht. Einer weiteren Verbesserung steht allerdings die «notorische Intransparenz in den Transaktionsmärkten» im Weg, wie Urs Hausmann in seinem Buch schreibt. Um das Schätzerwesen in der Schweiz «in neue Sphären zu heben», so heisst es in der Einleitung, wäre ein systematischer und zeitnaher Zugang zu Trans­aktionsdaten von Einzelobjekten gefragt. «Mehr Transparenz bei gehandelten Immobiliendeals wäre wichtig. Diese würde noch bessere ­Bewertungen als heute möglich machen», sagt auch Daniel Zaugg, Leiter des Sektors Immobilien bei Ernst & Young in der Schweiz. Allerdings sei in näherer Zukunft nicht zu erwarten, dass Trans­aktionsdaten systematisch offengelegt werden: «Es gibt weder branchenintern noch auf politischer Ebene nennenswerte Bestrebungen dazu», sagt Zaugg. Er betont aber, dass die Transparenz in der Immobilienbewertung Fortschritte gemacht habe. Einerseits seien die Bewertungen professionalisiert worden. Andererseits seien Daten einfacher verfügbar und es hätten sich methodische Standards ­etabliert. Zur Transparenz tragen weiter Regelwerke wie die International Valuation Standards (IVS) oder die Global Standards der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS) bei. «Diese sind nicht verbindlich im Sinne von Gesetzen, aber die ­grösseren Unternehmen in der Schweiz orientieren sich daran», sagt Zaugg. 

Weiterbildung essenzieller denn je

Seit über 20 Jahren beobachtet und gestaltet auch Dr. Gerhard Roesch die Immobilienbewertung. Der ehemalige selbständige Architekt ist promovierter Ingenieur und Präsident der Schweizerischen Vereinigung kantonaler Grundstücksbewertungsexperten (SVKG). Seit 2000 leitet er die Sek­tion Grundstückschätzung der ­Aargauer Verwaltung. Damit verantwortet er jährlich rund 25 000 Bewertungen, die der Kanton vornimmt – viele davon ganz oder teilweise automatisiert. «Die prägendste Entwicklung der vergangenen 20 Jahre ist die Digitalisierung und die damit zunehmende Verfügbarkeit von Daten und automatisierten Bewertungen», sagt Roesch. Vielen Immobilienbewertern fehle heute die nötige Methodenkompetenz, um die Funk­tionsweise von automatisierten Bewertungen zu verstehen und die Ergebnisse entsprechend zu würdigen. «In diesem Bereich hinken leider auch die Ausbildungsinstitutionen in der Schweiz der Entwicklung hinterher», sagt Roesch. Es müsse in den Studiengängen ein stärkeres Gewicht auf Statistik und Datenanalyse gelegt werden, «auch wenn gerade Statistik ein Fach ist, das bei Studieneinsteigern wenig Begeisterung wecken dürfte». Wichtig sei daneben auch, dass Bewertungs­unternehmen und Schätzungsbehörden laufend Weiterbildungen anbieten. So ermöglichten sie, dass ihre Mitarbeitenden im Umgang mit neuen Technologien und immer komplexeren Datenmengen kompetent bleiben.

Gefragt sind Statistik und Datenanalyse.

  1.  Urs Hausmann: «Liegenschaften wertgeschätzt – Ein Streifzug durch zwei Jahrhunderte Schweizer Bewertungsgeschichte».
       Edition Hochparterre, 2019