Das Prüfsofa widmet sich Themen aus der Welt des Schätzers. Zugespitzte Argumente auf den Punkt gebracht. Ein Kommentar von Martin Frei.
Juristen sind zu beneiden. Egal, ob ihr Plädoyer als Anwalt luzid ist und der Fall sie zum Gewinner macht, egal, ob ihr Richterentscheid vor der höheren Instanz besteht oder zurückgewiesen wird, die Fakultät, an welcher sie ihre Studien durchlaufen und ihre Lizenziats- und Doktorarbeiten einreichen, ist eine Wissenschaftliche. Der akademische Glanz fällt auf sie wie etwa auf die wirtschaftswissenschaftlichen Universitätsabsolventen. Auch ihnen wird Wissenschaftlichkeit zugestanden. Lediglich ein kleiner Schatten unterscheidet das Strahlen: den Juristen ist der Nobelpreis vergönnt. Bis heute.
Zwar hatte Alfred Nobel die Preisvergabe an Wirtschaftswissenschaftler ausdrücklich ausgeschlossen. Ihre Wissenschaft war ihm nicht exakt genug. Dieser Sichtweise mag auch der einfache Bewerter zustimmen. Es ist zwar anregend, dass die Erkenntnisse der mit dem Preis ausgezeichneten Wirtschaftswissenschaftler nicht selten widersprüchlich sind. Stieglitz und seine Forschungen zu asymmetrischen Informationen grüssen Markowitz, seinen vollkommenen Markt und die rational handelnden Investoren. Immerhin weiss man auch als Bewerter längst, dass die Theorien über den Markt und die Vollkommenheit seiner Kräfte im realen Immobilien- Monopoly nicht respektiert werden. Exakten Wissenschaften aber sind Widersprüche ein Gräuel.
Bei allen Anstrengungen für die Qualitätserhöhung wird Wissenschaftlichkeit dem Bewerter und seinem Streben nicht ohne weiteres zugestanden. Das hat viele Gründe. Bewertungstätigkeit bewegt sich notwendigerweise zwischen Wissenschaft und Kunst. Kunst? Wie soll denn der bestmögliche Nutzen unter IFRS 13 bestimmt werden, wenn nicht mit der richtigen Portion kreativer Vorstellungskraft über die Verwendung der Baukunst, was auf einem unternutzten Areal noch möglich sei?
Highest and best use zeigt exemplarisch den Einsatz des Bewerters im Spannungsfeld von Kunst und Wissenschaft. Denn ohne präzise, exakt rationale Prüfung auf finanzielle, rechtliche und physische, also etwa statische Machbarkeit, ist nur das tatsächlich Vorhandene zu bewerten. Nicht sonderlich zuträglich einer Anerkennung der Wissenschaftlichkeit der Bewerter sind aus Sicht des einfachen Bewerters gewisse Praktiken der Fachhochschulen. Diese – sonst stets bemüht, mit universitärer Ausbildung auf Augenhöhe zu sein – haben mit der Verleihung von MAS-Titeln für alle Mitwirkenden an einer Gruppenarbeit einen Bock geschossen. Solche Massentaufen unterhöhlen Wert und Würde eines Hochschulabschlusses. Sie fördern geistige Selbstbestäuber.
Zurück zum Nobelpreis. Nachdem also mit den Wirtschaftswissenschaften auch Bereichen der nicht exakten Wissenschaften das Tor zur höchsten Weihe offensteht, stellt sich doch die Frage: who is next? Könnte nicht auch die Eleganz und Unwiderlegbarkeit einer komplexen rechtlichen Beweisführung oder die Stringenz einer Gesetzesnovelle gewürdigt werden? Und, um nun richtig hammermässig auf den Putz zu hauen: wie wär’s mit einem Nobelpreis für Bewertung? Für Bewertungskunst, oder für Bewertungswissenschaft? Paganini der Bewertung, bitte melde dich! Stockholm is calling!
Martin Frei
MSc ETH in Architektur/SIA, MAS ETH in Management, Technology and Economics/ BWI, Zürich.