Zum wirklichen Verständnis: Aus «Grün» haben die Hauptmacherinnen des Zoom – nach der Redaktions­sitzung – das Thema «Dschungel» gemacht. Sie haben das anfängliche «Grün» auf schlaue Art getarnt. Wurde ihnen selbst übel ob soviel Grün-Kohl? Kam ihnen gar die politische Dimension des Wortes in den Sinn, so in der Wahl- und Abstimmungshochsaison?

Rot ist die Liebe, Grün ist die Hoffnung. Schön wär’s. Die Grünen sind gemäss eigener Darstellung «eine Sammelbewegung der grünen Parteien mit den Resten der progressiven und sozialistischen Organisationen in der Schweiz».¹ Rot und Grün gesellt sich gern.

Bäume in der Stadtplanung

Sprechen wir lieber über Bäume, die nun bald wieder grünen. Als Zürcher liegen für den einfachen Bewerter Bäume, Rote und Grüne nahe zusammen. Wir werden ja hier seit Jahrzehnten von Roten und Grünen in Legislative und Exekutive regiert und diszipliniert. Bäume sind auf den in den letzten Jahren erstellten Vorzeigeplätzen der Stadt wie Münsterhof oder Sechseläutenplatz eine Rarität. Nun ist im November 2021 plötzlich zu lesen, dass eine städtische «Fachplanung Hitzeminderung» gemerkt haben soll, dass Bäume Schatten spenden, Wasser verdunsten und für das lokale Klima nützlich sind. Hurra! Oder Heureka?

Genug der Politik. Man kommt bei der grünen Thematik oder der Klimasache fast nicht an ihr vorbei. Zu sprechen ist aber über Aspekte, die von Freunden des Grünen lieber nicht behandelt werden. Nein, nicht über Gaskraftwerke, welche nun die Schweizer Stromversorgung vor einem ansehbaren Blackout retten sollen. Und die beim besten Willen nicht klimaneutral sind. Opfer der Grünen werden mit schöner Regelmässigkeit Erweiterungen bestehender oder der Bau neuer Wasserkraftwerke, neue Leitungen zur Elektrizitätsversorgung oder die Schliessung von noch vorhandenen Lücken in Strassenprojekten.

Eine Subventionsmaschine

Grün ist nicht zuletzt wegen der Klima- und Energiediskussion eine gewaltige Wirtschaftsangelegenheit und staatliche Subventionsmaschine geworden. Unter der Fahne des Energiesparens ist in den vergangenen Jahren eine Unzahl von gesetzlichen Eingriffen erfolgt. Wo die ab Mitte der neunziger Jahre fast schon revolutionären schweizerischen Vorgaben für Minergie aus privater Initiative eines Vereins hervorgingen und entsprechende Massnahmen bei Neubauten freiwillig erfolgten, ist inzwischen in vermutlich allen Kantonen das Einhalten energetischer Massnahmen bei Neu- und Umbauten eine Pflicht. Das ist trotz Subventionierungen auch mit erheblichen Kosten für Bauwillige verbunden. Wir sprechen hier vorerst nur von Baukosten. Lange wurde gehofft, dass die höheren Baukosten auch zu höheren Gebäude­werten führen würden. Das Autorenteam der Publikation «NUWEL, Nachhaltigkeit und Wertermittlung von Immobilien» zeigte 2011 erstmals, dass in der Schweiz Minergie-Einfamilienhäuser eine höhere Zahlungs­bereitschaft als übliche Einfamilienhäuser erzielten. Spätere Untersuchungen sprechen von baulichen Mehrkosten von etwa 10 Prozent, aber nach Statistiken von Fahrländer Partner würden die Nettomietzinse trotz dieser höheren Investitionen im Durchschnitt nur um 1 bis 1,5 Prozent ansteigen, was mit tieferen Betriebs- und Nebenkosten kompensiert wird und den Bruttomietzins wieder ausgleicht oder gar reduziert.² Die Mehrwerttendenz dürfte weiter abnehmen, weil eben die gesetzlichen Vorgaben für Wärmedämmungen bald flächendeckender Normalfall sind.

Energiemonster Lüftung

Ins gleiche Kapitel von euphorischen Blasen gehören die kontrollierten Lüftungen, lange als ein weiteres Heilsmittel gepriesen, ausser von Bewohnern von Wohnungen mit ebensolchen. Eine 2018 publizierte Untersuchung eines Spin Offs der ETH hat bei einer 2011 bezogenen Siedlung mit 300 Wohnungen in Zürich Affoltern den mit zentraler Komfortlüftung mit Wärmerückgewinnung (KWL) und den mit Abluft in Küche und Bad nebst konventioneller Fensterlüftung erstellten Wohnungen der Siedlung miteinander verglichen.³ Das Ergebnis ist ernüchternd. Den theo­retischen Energieeinsparungen von über 24 Prozent steht ein Mehrverbrauch von 63 Prozent Allgemeinstrom im Siedlungsteil mit Komfortlüftung gegenüber. Beim ökologischen Vergleich mittels Ökobilanzen schneidet die KWL schlechter ab, wobei die totale Umweltbelastung – ermittelt mit der Schweizer Methode der ökologischen Knappheit – fast 250 Prozent höher ist als diejenige der Fensterlüftung mit Abluft. Finanziell über den gesamten Lebenszyklus betrachtet verursacht die KWL 380 Prozent höhere Kosten, was auf die hohen Investitionskosten (Lüftungskomponenten und zusätzlichen Betonarbeiten), die höheren Stromkosten sowie die Kosten für Unterhalt und Wartung zurückzuführen ist.

Opfer der Grünen werden mit schöner Regelmässigkeit Erweiterungen bestehender oder der Bau neuer Wasserkraftwerke.

Der Hype um ISO 9001

Erinnern Sie sich an die Zeit um das Jahr 2000? Bald jedes Lieferwägeli eines kleinen Gipserbüdelis liess sich auf die hintere Türe des Laderaums aufspritzen, dass es ISO-9001-zertifiziert sei. Zertifizierungen waren plötzlich der Riesenhype. Ansteckend wie später Covid-19. Was es dem Dorf­gipser ausser Spesen gebracht hat, ist nicht bekannt. Aber bekannt ist, dass jene, die Zertifizierungen und deren Verleihungen als Geschäft betreiben, nicht schlecht davon leben. Selbst das Bewertungswesen ist ja von diesem Zertifikatsrausch betroffen. Bei Immobilien hat er, ausgehend von angelsächsischen Ländern, ebenfalls viele Akteure in Erregung versetzt. Auch hier wird regelmässig mit Studien zu belegen versucht, was für einen Mehrwert ein grünes Gebäudelabel mit sich bringe. Auch hier ist zu sagen, dass die behördlichen Vorschriften, etwa in der Schweiz, zumindest im energetischen Bereich, auf vergleichbarem Niveau sind, wie dies für ein Gebäudelabel erwartet wird. Bei Mietern läuft es in dem Sinne ähnlich, dass von Gutmenschentum beseelte, häufig, aber nicht nur, amerikanische Unternehmen, in «green buildings» Mieter werden, um den selbst gesetzten Compliance-Ansprüchen zu genügen. Glatt für alle, kann man da sagen. Auch Migros kündigt an, demnächst klimaneutrale Läden zu haben. Das Methan, das die Milchkühe als Mitproduzenten des Warensortiments gerülpst und gefurzt haben, bleibt ja beim Bauern.

Knapp am Fegefeuer vorbei

Nachhaltigkeit ist ein kräftiger Begriff, passend zu Grün. Man trifft ihn heute auf Schritt und Tritt. Es gehört zum guten Ton, als Unternehmen, das modern und gut dastehen will, immer wieder etwas dazu zum Besten zu geben. Da greifen natürlich auch Banken gerne zu. Besser von Klimaneutralität zu reden, als von Millionenverlusten und Millionen­bussen wegen schmuddeligen Geschäften im grossen Stil. Mit «Sus­tainable Investments» werden auch sonst nicht zimperliche Investoren ermuntert, Ablass zu tun und sich einen kühleren Platz im Jenseits zu sichern, als gerade neben dem Ofentürli des Fegefeuers.

Wer «grün» sagt, sagt auch bald «Klima». Dass sich das Klima verändert und verändert hat, will wohl kein denkender Mensch leugnen. Nun ist aber die Geschichte der Erde die Geschichte einer andauernden Veränderung. Der CO2-Gehalt der Luft lag in der späteren Kreidezeit, vor etwa 60, 70 Millionen Jahren, als noch Dinosaurier herumspazierten, auf dem vier- bis fünffachen des heutigen Wertes. Und bekanntlich haben die damaligen Lebewesen weder Öl- und Gasheizungen oder benzin­getriebene Autos benutzt. Das Thema des Heftes ist ja «Dschungel». Und solcher wuchs zu selbiger Zeit im Gebiet des heutigen Südpols.

Grün, grüner: Am grünsten muss es wohl im Dschungel sein. Ein schönes Thema für das SIV-Heftli. So richtig zum Dampf ablassen. Nur Wasserdampf, garantiert ohne CO2 oder Lachgas.

Martin Frei

MSc ETH in Architektur / SIA, MAS ETH in Management, Technology and Economics / BWI, Zürich

  1.  Geschichte der Grünen. www.gruene.ch/geschichte-der-gruenen, 2022
  2.  hub.hslu.ch/immobilienblog/2021/05/03/die-schweiz-hat-den-mehrwert-im-nachhaltigen-wohnungsbau-erkannt/
  3.  Vergleich Lüftungskonzepte der Siedlung Klee, Zürich-Affoltern, 2018, s3-engineering